Freitag, 9. April 2010

Kalkutta, Darjeeling, Sikkim

20. März
Habe Gebrauch von Kalkuttas Metro gemacht.
Gelähmt vor Entsetzen beim Anblick der Menschenmauer, die mich hinter der sich öffnenden Schiebetür der Metro erwartete, habe ich die erste einfach ohne mich weitermachen lassen.
Es war dann beim zweiten Anlauf tatsächlich so beängstigend eng, wie ich befürchtet hatte. Ich schwitzte dem Nachbarn die Hacken voll auf der Fahrt zum Kalighat - Tempel. Und er mir.
Die killen da doch tatsächlich für die Durga, die blutige Variante der Muttergottheit Kali täglich –zig Ziegen. Blut riecht, aber am schlimmsten stinken die warmen Eingeweide.
Für die sich von Unfruchtbarkeit bedroht fühlenden Frauen gibt es da einen Fertilitätsbaum. Für den und alles mögliche andere muss natürlich erst mal gespendet werden: „Help us to help you.“ So die heuchlerische Standardformel für ein sehr umständliches Verfahren, dessen charity - Wesen mit Sicherheit erst mal den Brahmanen und sonstigem Ministrantentum Wohltätiges erweist.
Natürlich ist es diesem Gauner von einem sich als Brahmane dieses Tempels anwanzenden Guide gelungen, mir für die „charity“ durch Vorlage eines Büchleins mit den Namen von edlen Spendern einen namhaften Betrag abzuluchsen. Ich wollte auf der Donation - Box bestehen. Aber die gäbe es hier doch nicht! Jeder Tempel habe seine eigene Methode!
Und kaum war ich mit den Verhandlungen über die Höhe meines Beitrags fertig, da wollte der auch noch - als Brahmane dieses Tempels! – ein Trinkgeld. Ach, und da drüben steht ja doch die Donation - Box! Da war der guide schon um die Ecke.
Und gleich um die Ecke das Mutterhaus der Mutter Theresa, vor der ein paar Elendsgestalten herumlungerten. Denn die christliche Charity wird erst wieder ab 15:00 Uhr verabfolgt.
Von außen ist das Gebäude nicht gerade eine Reklame für das Christentum. Ich würde mich da lieber an die Kali-Priester halten. Die geben mir wenigstens jeden Tag eine Mahlzeit.
Immerhin: das Leichentuch wird mir - wegen der Menschenwürde - dereinst der Verein von der Mutter Theresa spenden.

Habe dann auf der Flucht vor dem Lärm und der Hitze den stressfreien englischen Friedhof besucht.
Obelisken, Mausoleen und Pyramiden unter Palmen und Schlingpflanzen. Und darunter Elite-Bürokraten, hohe Militärs, eben der Prunk und Pomp der Power.
Dieser South Park Cemetery erzählt neben den üblichen Distinktionsgewinnen der sich an Imposanz überbietenden guten Gesellschaft auch manch trauriges Geschichtlein. So erfährt man von einer Rose Aylmer, dass sie aus dem Leben ausgeschieden wurde, weil sie ihrer Ananas-Sucht nicht widerstehen konnte, und ihre zarten Eingeweide ihr das übel nahmen.

Unweit davon wirbt die „Mother Theresa Church“ mit dem nicht ganz unbekannten Spruch:
Kommet alle zu mir, die ihr müde und geschlagen seid. Und ich gebe euch den Rest.“
Das ist zwar in der Sache wohl richtig, aber vermutlich doch eine weitere von den zahllosen Fehlübersetzungen, aus denen die Bibel besteht.

Aufklärung

als ausgesprochene Wohlfühlphilosophie kommt deswegen so gut an, weil man sich als einzelner Leut so angesprochen fühlt, wie das, was man erst werden soll: ein Mensch.
Zudem ist das nur halb so verlogen, wie jene Programme, die den Verwursteten als Menschen propagieren.

Hierauf bemerkte der Teufel,

Gott muß man sein, um an so viel Blut Gefallen zu finden.

- Jose´ Saramago: Das Evangelium nach Jesus Christus

Donnerstag, 8. April 2010

Kalkutta, Darjeeling, Sikkim

März 2010

Manchmal wünschte ich, es gefiele mir in Deutschland besser, damit ich nicht soviel reisen müsste.

18. März 2010

Mein Freund,
wenn du mich jetzt durch Kalkutta begleitest, dann brauchst du keine Angst vor dieser Pestbeule der Städte zu haben.
Die Gesundheitsbehörde, die dich schon in der Immigrationshalle empfängt, versichert dir, dass das Ausfüllen eines Formulars mit deinen persönlichen Daten gut gegen die grassierende Schweinegrippe sei.
Das schafft Vertrauen.
Die hinter einer Sichtblende hervorlugenden Krankenbetten auch. Ganz wie zu Hause wird man auch hier fürsorglich von den Staatsorganen belagert.

- Wenn du Geld wechselst, zähle doch ungescheut nach, und lasse dir den versehentlich fehlenden Differenzbetrag aushändigen. Niemand wird beleidigt sein. Man erwartet das von dir.
- Wenn sich da drüben Menschenähnliches und Dohlenvögel auf dem Abfallhaufen raufen, dann geht es wie hierzulande doch auch bloß um den Anteil an Verwertbarem.
Der einzige Unterschied: hier in Täuschland geht es eleganter und geruchsfrei zu.
- Deine Angst vor der Tuberkulose ist ganz unbegründet. Die roten Auswürfe auf den Straßen stammen vom Kauen der Betelnüsse und dem davon herrührenden Rot des Sputums.
- Die Bündel Fetzen da auf dem Bürgersteig sind keine Leichen. Die gehören zu den 1,3 Millionen, die am Rande des Bürgersteigs ihren festen Wohnsitz haben. Das Transportgewerbe schläft übrigens auf der Ladefläche seiner Fahrrad-Rikschas oder seinen Karren.
- Nein, nein, die Verschleierung deines Blicks bedeutet nichts Böses. Es ist nur eine der zahlreichen Wolken aus dem Verbrennen von Plastikmüll, mit dem sich die an der frischen Luft Wohnenden Platz und Wärme verschaffen. Um diese brennenden Pollutionsherde würde ich aber doch einen größeren Bogen schlagen.
- „Don´t cross the road in the middle of the traffic.”
Also darauf würde ich schon hören.
Wenn es denn möglich wäre. Da Kalkutta aus einer einzigen Lawine von traffic besteht, wirst du täglich mehrfach Weltrekorde im Sprinten schlagen müssen. Oder besser, schmuggle dich im Schutze erfahrender Eingeborenen mäandernd durch die Blechlawine.
- Wenn dich das geradezu orgiastisch Aufbrandende von menschlichem Gewusel und der abwesende Blick der Vorübergleitenden ängstigt: das sind bloß die letzten Zuckungen einer Sterbenden, die sich ein weiteres Mal in die Welt wirft und erneut gebiert.

Morgens in Kalkutta.
Die von siegreich überstandenen Zweikämpfen gezeichneten Straßenbahnen ziehen gleichmütig ihre Bahn. Ihre rostzerfressenen Aufbauten hält der letzte Ölfarben-Anstrich zusammen.

Falls diese Menschen, die sich an den öffentlichen Wasserstellen rudelweise der morgendlichen Toilette widmen, irgendwelche Konzepte, Selbst- und Weltentwürfe wälzen sollten, wären sie mit dem erfolgreichen Überleben des heutigen Tages voll ausgelastet.

Solche Menschen haben genau so viele Götter, wie an Regungen durch sie zuckt: der Hinduismus kennt an die 330 000 davon. Das Überleben strukturiert diese Seelen genau so mühelos wie die Getriebenheit des westlichen Lebens den damit umgehenden Lebenskünstler, oder die Versuchungen der Spiritualität im Alter, you name it...

19. März
Mein Freund,
ich will dich nicht mit Dingen langweilen, die dir nun wirklich schnurz sein können. Aber über die gebuchte Sightseeingtour durch Kalkuttas Highlights gibt es doch das eine oder andere Interessante zu vermelden.
So sprach etwa der Guide an seinem Busmikrophon dauernd von einem „Golgatha“.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich herausfand, dass er Kalkutta meinte.
Aber er hat ja so was von recht: dies ist wirklich eine „Schädelstätte“, auf der sehr viel mehr als ein Christus und zwei Schächer gekreuzigt werden, und zwar täglich, spätestens seit den Tagen des Kolonialismus, als die Engländer hier herumregierten, damit Indien ein Selbstbedienungsladen ohne Kasse bleibe.

Nach der quälenden Durchquerung der Slums des Stadtteils Howrah der erste kulturelle Höhepunkt: die architektonische und auch sonst vergleichsweise paradiesische Anlage, von der aus die Ramakrishna - Bewegung ihren Ausgangspunkt nahm.
Hier ein link zu dem Stilsynkretismus des Tempels, in dem sich Elemente aller Weltreligionen wiederfinden. Vielleicht im Einschmelzen aller Differenzen allzu kitschig, aber ich war trotzdem dankbar, dass die Chemiefabriken auf der anderen Seite des Ganges-Armes Hooghly waren.

http://www.sriramakrishna.org/belurmath.php

- Ramakrishna war übrigens ein Priester des Kalitempels auf der anderen Seite des Flussarms

http://en.wikipedia.org/wiki/File:Kolkatatemple.jpg

-In St. Pauls finde ich die - mich damals schon geärgert habende -
Coventry Litany of Reconciliation
wieder, die an Versöhnungsplätzen wie diesen jeden Freitag gebetet wird.
Hier der wenig erfreuliche Text der nutzlosen Selbstbezichtigung von Leuten, die das wirklich ernst meinen:
The hatred which divides nation from nation, race from race, class from class,
Father forgive.
The covetous desires of men and nations to possess what is not their own,
Father forgive.
The greed which exploits the labors of men, and lays waste the earth,
Father forgive.
Our envy of the welfare and happiness of others,
Father forgive.
Our indifference to the plight of the homeless and the refugee,
Father forgive.
The lust which uses for ignoble ends the bodies of men and women,
Father forgive.
The pride which leads us to trust in ourselves, and not in God,
Father forgive.

Das heißt ja wohl: die wollen genau so weitermachen.

Diese Herangehensweise an die aufgezählten, und vom Dogma der Sündernatur bis zur Unkenntlichkeit verunstalteten Probleme der nicht ernst genommenen Klassengesellschaft garantiert mit Sicherheit eines: bis ans Ende aller Freitage wird das inbrünstig von dergleichen Selbst - Bespeiern genüsslich zu beten sein.

Der christliche Idealismus führt hier schön seine Scheuklappen vor, die nun wirklich nur Pferden wirklich gut bekommen.
Ansonsten trennt ja wohl nicht der Hass die Nationen, Klassen und Rassen, sondern die nützliche Erfindung unserer Herren, uns in Klassen, Rassen und Nationen auseinander zu dividieren, um uns gegeneinander aufhetzen zu können, schafft den funktionalen Hass für Kriege und Rechtfertigungsideologien. Divide et impera! (Teile und herrsche) zählt schliesslich zur Basisausrüstung jeglichen Hherrschaftswissens.
Der Gipfel der Verbohrtheit ist - nach der Erklärung aller Misshelligkeiten dieser Welt aus der Schwäche der Sünderlein, die wir allzumal seien, - die Unverschämtheit, dass jeder, der sich in der Welt auskennt, ein vom Hochmut Geschwollener sein solle, den schon sein Desinteresse an Gott richte.

Als sehr lehrreich empfand ich auch den Besuch des Queen Victoria Memorials, eines imperialistischen Prunk- und Prachtbaus, der das Selbstbewusstsein des Kolonialismus sehr gut wiedergibt.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/73/Victoria_Memorial_Kolkata_panorama.jpg

Diese Mischung aus allerlei imperialen Gesten, deren Obszönität durch die Linienführung eines Zuckerbäckers gesoftet wird, enthält unter anderem Skulpturenmaterial, das Bände spricht:
- Robert Clive, Begründer der britischen Kolonialmacht in Indien schreitet mit dicken Beinen und wegweisender Geste in die Geschichtsbücher, deren toxische Inhalte noch heute zum Lehrstoff der höheren Schulen gehören. Merke: an den höheren der Schulen lernt man das Höhere. Und das ist immer ein ideelles Unterwerfungsverhältnis. Und sonst nichts Gescheites.

Ein einziger Major James Rennell wird vom Bildhauer mit gesenktem Kopf und herabfallenden Mundwinkeln erfasst: wenigstens einer, der bedauert, was er sein Leben lang im Dienst am Höheren verbrochen hat.
Gleich daneben eine spitznäsige Kampfhenne: eine Queen Alexandra, die uns – Gott sei Dank- schon 1925 von sich selbst erlöst hat.
Das Pack der willfährigen Nutznießer des Imperialismus ist typologisch gebündelt in einem Ölgemälde der Lady Hastings. Der Maler hat zu Recht die Kostbarkeit der luxuriösen Gardarobe dieses Symbols hirnloser Dienstmädchensehnsüchte hervorgehoben.

Nicht zu vergessen als Nutznießer die „Babu – Culture“!
Jene Schicht der vom Imperialismus geschaffenen „new rich“, die Schicht der intermediaries, der compradores, der Zwischenträger, auf welche die bis auf den heutigen Tag verblödeten, aber zahlungskräftigen Herren angewiesen waren und sind, wenn sie denn mit den Leuten überhaupt ins Geschäft kommen wollten, unterscheidet sich in ihrer grenzenlosen Geschmacklosigkeit nicht von der ihrer kolonialen Herren: der Affe weiß es schließlich nicht besser, sondern genau so gut.

Dieser Tag hat mir richtig gut getan.
Die Denklmäler, die sich die Herren dieser Welt errichten, sind lauter Denk- und Schandzettel, die sie sich auch noch eigenhändig um den Hals gehängt haben.

Sozialstaat

Wenn die großen, schweren Schlachtschiffe zum Schlachten ausfahren, zieht immer das Lazarettschiff hinterher. Für die Wiederherstellung von noch verwertbarem Material.

Unbeeindruckt von dieser Bestimmung dessen, was Sozialstaat ist, kommt es den An-Politisierten vor, als nehme die "soziale Kälte" zu.

Teilnahme und Identifikation

Dauernd soll man sich mit etwas identifizieren und sein Heil in der Teilnahme erblicken.
Spielst du aber tatsächlich mal das, womit du dich total zu identifizieren hast, nämlich die Staatsgewalt, und tust, was eigentlich ihres Amtes wäre, schon überschreitest du deine Kompetenzen und fällst wegen dieser Identifikation unters Verdikt des Identitätsdiebstahls, also in die Psychiatrie, wenn du Glück hast.
Wenn die Abziehbilder (auf der Rechten) sich wie das Original aufführen, bekommt das Original Identitätsprobleme. Und weil es die Macht hat, räumt es den Repräsentations-Usurpator aus jedem praktischen Vollzug seiner Einbildungen.
Beispiel: "Jack the Ripper", der seiner Staatsgewalt helfend unter die ohnmächtigen Arme griff, und unter den viel zu vielen hungernden Huren von London gängige Ordnungsvorstellungen ins Werk setzte, kann von Glück sagen, dass er beim löblichen, aber illegitimen Werke nicht erwischt wurde.

Dienstag, 16. März 2010

Menschenwürde

1) Ihre Unantastbarkeit zu bezweifeln, zeugt von einer Verkennung ihrer Wesensart.
In dem dichterischen ...“dass der Mensch zum Menschen würde“ kommt ihr irreal - konjunktivischer Charakter sehr gut heraus.
Auch haben die Spaßvögel wohl nicht so ganz unrecht mit ihrem: „ Menschenwürde! Drei Schritt vortreten. Hinlegen! Aufstehen! . Hinlegen!.“
2) Unantastbar im Sinne des Grundgesetzes, also als durchaus zur Disposition stehendes Gut, zeigt sie sich einem, der eine Arbeitserlaubnis besitzt, also nicht in Abschiebehaft sitzt, der so und so lange hier lebte, der hinreichende Deutschkenntnisse besitzt, der die Leitkultur verinnerlichte usw., kurz der zur Staatsbürgerschaft und ihren sich wandelnden Zumutungen offiziell Zugelassene.
Ist also ein sehr relativer Begriff, an dessen tatsächliches Greifen einige Bedingungen geknüpft sind, so indikativisch auch Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes daherkommt.

3) Irgendwie einklagbar ist dieses Menschenrecht nicht so recht.
Aber als Waffe gegen auswärtige Souveräne entfaltet es eine gewisse propagandistische Stoßkraft vor allem bei Leuten, die außer ihrer Menschenwürde nicht viel vorzuzeigen haben.

Memorabile
Alltägliches in die Ebene des Sinnbildlichen erhoben.

Wünschenswert wären Memorabilien, die dem symbolischen Sprechen nachweisen, dass zwar von den täglichen Ohrfeigen viele Wege zum Kreuze kriechen, aber vom Kreuz nicht ein einziger zuverlässiger Weg in die herbeigeprügelten Ordnungsmuster.

Mentalität des Konservatismus
Was wir heute tun, entscheidet darüber, wie die Welt morgen aussieht. (Ebner -Eschenbach)
Nicht aber etwa deswegen, weil wir in der Tat das Aussehen der Welt geändert hätten, sondern weil wir vorsorglich schon gestern uns eine Sichtweise zugelegt haben, die uns auch morgen noch nicht alt aussehen lässt.

Die meisten Linken von heute sind ja so was von rechts!

Hallo, da draussen,
hiermit verabschiede ich mich wieder mal für drei Wochen in den indischen Himalaya (Darjeeling, Sikkim).
Nach dem 8.April melde ich mich wieder.

Euer rasender reisender Rentner.

Montag, 15. März 2010

Menschenhass

Shakespeares Timon von Athen erliegt dem idealistisch inspirierten Irrtum, dass Reichtum zum Aus- und Heraushelfen und allgemeinen Wohltun da sei.
Seinem - wegen solch hirnnrissiger Einbildungen - erwartbaren und eintretenden Bankrott entnimmt er nicht die Erkenntnis, dass er sich schwer gegen die Natur des nervus rerum vergangen hat, sondern ein ungünstiges Urteil über die sittlichen Standards seiner Mitwelt.
Und hier beginnt die Denunziation dieses Bilds eines hochherzigen Trottels.
Nach der antiken Charakterologie (des Aristoteles) sei einer, der als Staatsbürger nicht leben wolle, ein Tier. Verbittert zieht er sich in den Wald zurück und gräbt nach Wurzeln wie eine Wildsau.
Das haben sie ja alle immer schon gewusst. Wer nicht beim allgemeinen Getriebe mitmacht, ist eine Art Untermensch, der historisch konjunkturell in verschiedene Projektionen a-sozialer Naturverfallenheiten eingereiht wird.
Damit nicht genug, steigert sich die küchenpsychologische Verdammungstechnik in die Vorstellung, der enttäuschte Idealismus ergötze sich hinfort an einem Idealismus des Bösen. Denn die story zeigt uns einen Timon, der beim Wühlen nach Wurzeln durch Zufall Gold findet, mit dem er nur noch der Raserei seines Hasses frönt.
Als er nämlich von Alkibiades´ geplantem Feldzug gegen das verhasste Athen erfährt, gibt er ihm Gold für seinen Vernichtungszug. Den ihn besuchenden, gleichfalls mit Gold beschenkten Prostituierten trägt er auf, mit ihrem Beruf nur eifrig fortzufahren und Krankheiten zu verbreiten. Zwei Dieben gibt er wiederum Gold und den Auftrag, in Athens Geschäfte einzubrechen und soviel zu stehlen, wie er ihnen gegeben hat...

Daran ist immerhin so viel interessant: den Normalo und seine Vorstellungswelt beutelt eine irrationale Angst vor dem Opfer, das er auf dem Altar seiner Mittelmäßigkeit sich selbst dargebracht hat.
Dessen Rache wird in der Gewaltsamkeit seiner Reaktion als ziel- und maßlos visioniert.

Moral,
eine milde und legalisierte Einstiegsdroge.
Bei Politikern und Revolutionären erfolgt jedoch erfahrungsgemäß der Übergang zu den härteren Sachen sehr schnell.

Als Einstiegsdroge zu diversen härteren Sächelchen also durchaus brauchbar, heute allerdings als verdammt hartes „non plus ultra“ (Keinen Schritt weiter, oder es knallt.!) befohlen.
Über Feinstaubplaketten und Rauchfreiheit in öffentlichen Räumen sollst du dem small-talk zuschowen, der Feinstaub aus amerikanischen Massenvernichtungswaffen mit abgereichertem Uran (Krebstod für 2,5 Millionen Jahre im Umkreis von 25 km der Einsatzgebiete garantiert) in Ex-Jugoslawien, Afghanistan, und Irak, Libanon ist erst gar kein Thema.

Moralisches Unwesen
Gern würde er seine Geliebte aus den Fängen dieses Ungeheuers retten. Dies erschiene ihm als Gutes.
Da er dies aber aus Neigung und Liebe zur Sache betriebe, statt aus Pflichtgefühl, muss er sie ihm doch wohl als zarten Happen zwischendurch überlassen.
Denn Alles, was „ nicht auf moralisch-gute Gesinnung gepfropft ist, ist nichts als lauter Schein und schimmerndes Elend."

Kants Rigorismus spricht sich unmissverständlich und strikt gegen das Lügen aus, aber kein Wohlmeinender würde es soweit kommen lassen, dass er aus purer Wahrheitsliebe seinen wahren Charakter, seine Schwächen, Gemeinheiten und Idiotien auf die - nichts dergleichen vermutende - Mitwelt losließe.
Die Welt würde keineswegs zusammenbrechen, wenn der guten Menschen weniger würden: Lügende Zeugen wandern wegen Meineids ins Gefängnis.

Sonntag, 14. März 2010

Lebensheil

Epikuräer kennen keine Adiaphora, weil alles nur in seinem Bezug auf den, der fühlbare Wirkungen auf sich selbst einschätzt, in Betracht kommt.
So richtig die da zu holenden Auskünfte über luststeigernde Anpassungsmechanismen sind, so wenig wird man fündig werden in puncto näherer Bestimmungen zu Schönheit, Reichtum und Wahrheiten über was anderes Wichtiges.

Literatur und Veränderung

Nach dem Erdbeben von Lissabon (1755), verfasst Voltaire das „Gedicht über das Lissabonner Beben“, worin er Leibnizens These von der besten aller Welten, die ein vollkommenes Wesen geschaffen haben soll, mit Schwung und Schmiss ablehnt.
Auf dieses Gedicht reagiert Rousseau mit einem Brief, der nicht nur seinen Optimismus, sondern auch seine Überzeugung von der natürlichen menschlichen Güte verteidigt.
Daraufhin verfasst Voltaire seinen «Candide ou l’optimisme».
All dies ändert überhaupt nichts.

Aber man ist doch heilfroh, dass man um die Arbeit, den „Gutmütigen Trottel“ selber verfassen zu müssen, herumgekommen ist.

Samstag, 13. März 2010

Lesarten

Man spielt bei Lesarten ein pfiffiges Stückchen auf der Hermeneutik und rächt sein Gutdünken am Text.
Gern geübt an kanonischen Texten, die man immer dann unverdächtig symbolisch zu nehmen hat, wenn es peinlich zu werden droht.
Er aber antwortete und sprach: Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerottet werden. Matthäus 15.13
Wahrlich, wahrlich ich sage euch: das Denken hat es schwer in dieser Welt.

Darum denket besser wie? Als ob ihr nicht gedacht hättet.

Am weitaus besten aber ist es, beim Nachdenken über die Zulässigkeit eines Gedankens disputierend zu verharren.

Lästerer
Der Pfaffe benutzt den Lästerer schamlos zum Beleg der unumgänglichen Wichtigkeit seiner Sache: solange so einer lästert, beschäftige der sich mit etwas, womit er noch nicht fertig sei.
Könnte es aber nicht auch sein, dass so einer Zeit hat und sie zum Zwecke allgemeiner Erheiterung nutzen möchte?
Sauertöpfische Dogmatiker kommen erst gar nicht auf den Gedanken, dass es ein Vergnügen am freien Gebrauch der geistigen Gliedmaßen geben könne.

Freitag, 12. März 2010

Der Mensch,

aus dem Paradiese verjagt,
findet seitdem,
Gott sei´ s geklagt,
nicht nur im Schweiße
der Sünde Genügen,
nein, leider auch zunehmend,
an der Arbeit Vergnügen,
...hat er gesagt.

Aufklärung

Man trägt mir zu, dass sich die Aufklärung an der Vernunft orientiere.

Da macht sie aber einen schweren Fehler.


Wenn einer schon das Bedürfnis verspürt, sich über eine Sache Aufklärung zu verschaffen, dann ist er gut beraten, die Sache selbst aufzusuchen und auf ihrem Boden ihrer theoretisch habhaft zu werden.
Beispielsweise schiene es durchaus verfehlt, bei der Vernunft anzuklopfen, wenn man sich über den Klapperstorch seine Orientierung im Kategorialen abholen wollte. Wer über die Dinge der Fortpflanzung oder ihrer Verhinderung Aufklärung wünscht, um - vom neuen Kenntnisstand aus - freien Umgang mit einem Begriffenen zu pflegen, der mache besser einen weiten Bogen um die Eulen der Vernunft. Die raten ihm nämlich immer nur: „Sei doch vernünftig.“
Wenn einer in einer Sache hinlängliches Wissen besitzt, wäre es geradezu grotesk, jetzt noch nach Orientierungen zu fahnden. Man könnte schlimmstenfalls noch am Willen des anderen scheitern. Aber das ist ein neues Thema.

Offenbar hat die Aufklärung als philosophischer Unfug mit dieser naiven Grundbedeutung der Herstellung von richtigem Wissen nichts im Sinn, sondern widerspricht ihrem Begehr schon im Grundsätzlichen. Befreiung vom dumpfen Zwang des Nicht -Gewussten ist ihr geradezu ein Gräuel, da sie lieber auf Orientierung setzt, die sie sich auch noch selbst verordnet, damit sie nicht etwa aus dem Ruder läuft, wo – Gott verhüte! – die Vernunft vor sein wolle.

Paragraph 2)
Die Aufklärung orientiert sich an der Vernunft in letzter Instanz.“
Die von ihr selbst gewählte juristische Metaphorik des Richterstuhls ist für das von ihr Gemeinte durchaus angemessen. Hier legitimiert sich nämlich ein Geistersubjekt namens Aufklärung vor höchstrichterlichen Instanzen, um die eigene Gediegenheit des Lebenswandels nachzuweisen. Ihr Leitstern Vernunft lässt sie nicht verkommen, so sehr die Gegner dieser Dame, ihr Ehrenrühriges über ihren liederlichen Aufkläricht nachsagen möchten.

Paragraph 3)
dieses uninteressanten Gesetzbuchs über den seit dem 18. Jahrhundert anhängigen Prozess über die Hure Vernunft.

So sehr sie bei ihrem Gebrauch Spaß macht, es wird derlei orgiastischem Allotria zu Unrecht die intellektuelle Grausligkeit nachgesagt, dass Wissen über einen endlich aufgeklärten Sachverhalt nicht schon in sich Orientierung genug enthalte, weswegen dieses allgemein akzeptierte Fehlurteil die Gefallsüchtigkeit unter Gebildeten aufreizt, die ihre Zitatensammlungen miteinander austauschen, über die sie sich auch noch erhaben dünken, ohne auch nur ein einziges Argument auftischen zu müssen, warum es denn damit nichts sei.

Paragraph 4)
Diese eingebildeten Rotznasen verhalten sich – wie nicht anders zu erwarten war - vernunftgemäß.
Das ist nämlich das einzige vernünftige Verhalten.
Verhalten ist demnach eine moralphilosophische Grundkategorie, sofern es denn nicht unter unvernünftig abweichendes Verhalten falle.
Denn wie echot es seit unserer Rotznäsigkeit aus unseren Kinderzimmern?
Seid doch vernünftig.“

Donnerstag, 11. März 2010

Harmoniebedürfnis

Nicht enden wollender Krach im Kinderzimmer.
Die genervte Mutter steckt kurz den Kopf rein: „Jetzt vertragt euch doch endlich mal.“
Die Kinder, die bislang der Ansicht waren, dass sie miteinander was auszumachen hätten, sehen sich fragend an.
Und machen einmütig - bei wieder geschlossener Tür - mit einem ihrer ausgestreckten Zeigefinger eine Drehbewegung an der Schläfe:
„Die spinnt doch.“.

Kannibalismus
Es gibt eine geschichtlich überlieferte Moral der politischen Klassen, und über das Menschenfresserische daran hält sich schon der älteste Text unserer Zivilisationsgeschichte, die Klage eines ägyptischen Bauern herzbewegend auf.

Es gibt eine ihr korrespondierende - und sorgsam betreute - Moral der unbegrenzten Leidensfähigkeit, die alles an Menschlichem in sich reinfrisst, was ihm auf den Tisch geknallt wird.

In beiden Fällen ist Vegetarismus ein sehr bekömmlicher Ausweg.

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