Reisen

Sonntag, 7. Februar 2010

Reisen und Flanieren

Bevor ich mich besinnungslos in die nächste Unternehmung stürze, sei etwas über das Reisen vermeint.

Es gibt keine Rechtfertigung dafür.

Die Unverantwortlichkeit schlechthin.

Ich kann noch nicht mal für mich reklamieren, dass ich im zarten Alter des Studiosus noch irgendwie auf der Suche sei.
Übrigens und am Rande: es kommt bei dessen Suche immer nur eins raus: Zu Hause ist alles besser.
Gehört er allerdings mehr zur kaufmännisch veranlagten Sorte, wird er als überzeugter Sesshafter die Aufmerksamkeit der Tourismusströme zumindest versuchsweise umleiten.
Ganz anders die Flaneure, über die Tucholsky gut Bescheid wusste:
Flaneure
Du musst auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Es sieht hinüber
und zieht vorüber ....
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.
- Kurt Tucholsky, 1930
-
Wir lesen uns also nach Thailand erst Anfang März wieder.

Dienstag, 10. November 2009

Ziellose Serenade

Teheraner Airportwimmeln.
Mutti schnuppert an dem Baby
seiner strammen Strampelhose:
Flugtauglich, der trockne Zwickel.

Während rücklings auf ´ner Wolke
braunen Smogs die Halbmondsichel
um die Wette schwimmt mit meiner
sehnsuchtsnassen Herzenswindel

Nirgendhin und doch entgegen.

Tapst jetzt stolz ein Hindu-Toddler
opahandbehütet durch die
Halle, und tauscht seinen matschen
Keks mit ei´m aus fremdem Händchen.

Ach du, mein Herz, du matsche Windel,
ob dich wohl wer haben möchte?
Diesfalls schreib er mir ´ne e –mail:
klotzchrist wäre die Adresse
@ dem server web.de/

Montag, 14. September 2009

Meraner Höhenweg

Da bin ich jetzt mal eine Woche drauf. Tschüss!

Dienstag, 9. Juni 2009

Mittelmeerisch

Nichts so umfassend wie die Wahrheit des Meeres.
Versuche dem Meer eine Form aufzudrängen,
Du wirst dir stammelnd als Nichts widerfahren.
Lies ihm Litaneien der Gier und der Dinge vor:
An allem in allem ist es desinteressiert.

Gleichmut des Meeres, falls irgend da andocken wollte
Ein freier sich dünkender Radikalinski.
Dessen Leben ist ihm eine Brise Geschwätz,
wortwörtlich die Schwere der Gravität.

Wie ärgerlich, gleicht doch das Meer so sehr sich selbst!
Kein Symbol, das ihm gliche wie es sich selbst.
Grenze sich selbst im Bewegten,
Veränderung nur in der Dauer.

Vom Sarazenenturm aus aber gilt:
Wer übers Meer kommt stiehlt. Und: hier herrscht Nomarchia.
Die ist es, die den Mohn und den Boretsch gebiert.
Sagt sie.

Und außerdem macht mich misstrauen:
Meer, du alte Vettel, du putzest dich gern mit Spitzenhäubchen!

Dieserhalb sitze ich wiederum gern
In der unruhigen Zone des Undefinierbaren.
Wo hört das Meer auf, und wo beginnt das ihm Andere?
Und feile mir geruhsam die Nägel der Zehen.
Denn allem ins Heilige Ragenden nicht zu nahe zu tun
Ist unmöglich.

Samstag, 14. März 2009

Apulien

Apulien

Ein melodramatischer Frühlingsschlenker
Mein Reisen: sprechen mit denen vor mir.
Der Bericht darüber: reden an die mit mir hin.

Da ich hier entbehrlich bin,
packe ich meinen transportablen
Elfenbeinturm und brauche einfach
anderwärts niemanden
auf.

Alle waren sie hier.
Die kolonisierenden Griechen, die an deren Erträgen interessierten Römer, die Steuereintreiber aus Byzanz oder den Sarazenenemiraten, und schließlich die adligen Schlägerbanden aus der Normandie und aus Schwaben. Später verwandelten die französischen Anjous und die spanischen Bourbonen unter kundiger Anleitung des Papstes den erreichten Stand der Unterwerfung in die geschichtslose Statik eines Gefängnisses, was man dem Mezzogiorno heute noch ansieht.
Zu den vielen Dingen, die sich bei all dem nicht ändern, gehört nun mal die Gewissheit, dass jegliches Interesse sich von einem höheren Auftrag belehnen lassen wird. Entweder ganz materiell, wie die Korsaren, die im Dienste Venedigs, Genuas, des Papstes oder des Kaisers vom 15. bis zum 18. Jahrhundert plünderten, was des Brandschatzens wert war, oder eben als Freibeuter der Ideologie wie die bezahlten Sinn-Anstifter der Kirchen.

Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.

I)
Im Vorwort zu seinem berühmten Buch über die Falkenjagd schrieb der einzige vernünftige Regent Süditaliens, sofern man in diesen Zusammenhängen von Vernunft überhaupt reden kann, Friedrich II. von Hohenstaufen also schrieb, es sei seine Absicht, „die Dinge, die sind, so darzustellen, wie sie sind“ – ein Satz, der das Weltbild seiner ganzen Epoche mit lakonischer, ruchloser, hochmütiger Modernität in Frage stellte, und sich bis auf den heutigen Tag noch nicht unangefochten durchgesetzt hat.
Des Bemerkens wert in kulturkämpferischen Zeiten, und schon von den Zeitgenossen als Sensation und mit Abscheu betrachtet ist ferner die Tatsache, dass Friedrich II. sich mit muslimischen Gelehrten und Schöngeistern umgab, sich eine Leibwache aus Sarazenen (muslimischen Piraten) hielt und die apulische Stadt Lucera mit unterworfenen Sarazenen besiedelte, in denen er seine treuesten Untertanen und Anhänger fand.
Den Todfeind durch Einweisung in eine Lebensmöglichkeit zu integrieren?
Da sei der Papst davor!
Und richtig. Seine papale Verfügungsgewalt über die europäischen Hirne und Herzen steckt sich hinter die französischen Anjous, damit endlich der ewig nur Unkosten bereitende Sklavenhandel mit christlichen Untertanen aufhört, und vor allem das unerträgliche Prosperieren von 20 - 60 000 Moscheegängern.
1300 war es dann so weit: die florierenden sarazenischen Koloniebewohner werden in einer Art von kleinem Völkermord allesamt massakriert, und ab sofort werden es gekaperte Sarazenen sein, die auf dem christlichen Sklavenmarkt von Lucera zum Verscherbeln anstehen.

Im Fußboden der Kathedrale von Trani ist seit neuestem eine Platte eingelassen, die dieses Gebäude als „Monumento messagero di una cultura di pace“ ausweisen soll.
Mit Schaudern verlasse ich diesen von mir seit fast dreißig Jahren geliebten, wunderschönen Dom. Dazu muss man wissen: von hier aus schifften sich die christlichen Schlägerbanden nach Ablegung ihres Kreuzzug-Eids ein, um ihrer heimischen Chancenlosigkeit in die zu gründenden Kreuzfahrerstaaten zu entrinnen: Militarismus als Problemlösung.
Draußen ist der mich, und die auf dem Meer schaukelnden Möwen beutelnde, scharfe Nordwestwind genau jener nachwinterliche Frühlingswind mit dem der Frieden in den Krieg outre - mer getragen wurde.
Und weil sich das nicht jeder gefallen lässt, braucht es gleich neben der Kathedrale ein Kastell. Eins von den vielen, mit denen die Normannen und die Staufer sich ihren frommen Weg zur Herrschaft pflasterten.
Kastelle sind nicht etwa schön anzusehende, romantische Baulichkeiten, wie das poetische Gemüt sich das so denkt. Das sind Zwingburgen, an denen zunichte wird, was es in Schussferne gerne anders hätte.

Darüber gäbe es viel zu sagen, aber ist Schreiben nicht die Kunst, etwas zu verstecken, von dem der Schreibende hofft, der Leser werde es schon entdecken?

Das normannische Stauferreich endete übrigens nicht in einem Knall, sondern mit einem Wimmern.
Wenn das Castel del Monte, das die majestätische Herrscheridee der Staufer wie kein anderes in ihrer Reinheit symbolisiert, im Tosen des Frühlingswinds aufjault, dann glaubt man in seinem Heulen dies Wimmern aus den Verliesen zu hören.
Da wurden nämlich die letzten Stauferknäblein Friedrich und Enzio von den siegreichen Anjous für ganze dreißig Jahre lebendigen Leibes dem Vergessen im Kerker anheim gegeben. Der eine verkam und verendete erblindet und verblödet und wurde wie ein totes Tier irgendwo namenlos verscharrt.
Dem anderen gelang bei der Verlegung die Flucht in eine demütigende Odyssee durch Europa. Die adelige Verwandtschaft sorgte dafür, dass seines Bleibens nirgends war. All seine Aufbrüche trieben ihn immer nur weiter in die nächste Abfuhr bis sich seine Spuren unter der heißen Sonne Ägyptens im Wüstensand endgültig verlieren...

glanz und ruhm ! so erwacht unsre welt
Heldengleich bannen wir berg und belt
Jung und gross schaut der geist ohne vogt
Auf die flur auf die flut die umwogt.

Da am weg bricht ein schein fliegt ein bild
Und der rauscht mit der qual schüttelt wild.
Der gebot weint und sinnt beugt sich gern
'Du mir heil du mir ruhm du mir stern'

Dann der traum höchster stolz steigt empor
Er bezwingt kühn den Gott der ihn kor...
Bis ein ruf weit hinab uns verstösst
Uns so klein vor dem tod so entblösst !

All dies stürmt reisst und schlägt blitzt und brennt
Eh für uns spät am nacht-firmament
Sich vereint schimmernd still licht-kleinod :
Glanz und ruhm rausch und qual traum und tod.
(Stefan George: Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod)

In Barletta gleich daneben steht die spätantike kolossale Statue eines in Byzanz geklauten Kaisers von über 5 Metern Höhe. In seiner Rechten erhebt dieser unidentifizierbare Herrscher das Kreuz wie eine Nahkampfwaffe kurz vor dem Zuschlagen. Nichts von der Serenität selbstbewusster Machtausübung, die an den Pharaonen ihre eigene Notwendigkeit ausstrahlt.

Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.

Ach ja, das Ideologenpack!
Unweit Baris hat das faschistische Italien bestimmt, dass da die dermaßen berühmte Schlacht von Cannae stattgefunden habe (Canne della Battaglia), dass wir noch in den 50er Jahren die Jahreszahl ihres Stattfindens auswendig hersagen können mussten.
Im Verlauf des Gemetzels war es den Truppen Hannibals gelungen ,
70 000 von ihren auf römischer Seite arbeitenden Berufskollegen zu töten. Und nun die Stellungnahme des Geschichtsschreibers Livius, auf einer römischen Granitsäule für die nächsten paar Ewigkeiten eingemeißelt, der zufolge die Niederlage -recht bedacht – eigentlich als Sieg zu betrachten sei: „Kein anderes Volk hätte ein derartiges Unglück überlebt....“

Bari
war mit der Beschaffung einer für Kathedralen unerlässlichen Reliquie relativ spät dran, als es sich 1087 die Reliquien des hl. Nikolaus aus Kleinasien verschaffte.
Dieses „Verschaffen“ ist ein Euphemismus für einen kreuzzüglerischen Raubzug, wie das damals als Gemeinschaftsprojekt von Adel, Kirche und Unternehmergeist die übliche Verkehrsform war.
Man legte sich das Gelingen der impossiblen Mission seinerzeit so zurecht, dass der Heilige selber, um dessen wundertätige Gebeine es ging, unbedingt nach Bari wollte.
Da er keinerlei Anzeichen von Protest an den Tag legte, billigte er offenbar den frommen Zweck, ihn dem räuberischen Zugriff heidnischer Sarazenen und Türken zu entziehen.
Angeblich hat dann der Sarg des heiligen Nikolaus jahrhundertelang ein „Manna“ ausgeschwitzt, das morgens mit einem Schwämmchen gesammelt, und zu prohibitiven Preisen an die zahlungskräftige Wundergläubigkeit veräußert wurde.
Böse Zungen behaupten übrigens hartnäckig, dass man seinerzeit den falschen Sarg entführt habe.

Das bedeutendste Kunstwerk im Innern der Kirche ist der Bischofsstuhl des Elias von etwa 1098. Ein Bischofsstuhl hatte meist einen erhöhten Sitz im Vergleich zu anderen Stühlen in der Kirche. Ein solcher Stuhl wird in der Kunstgeschichte mit dem lateinischen Begriff „Kathedra“ benannt.
Den Thron in Baris Kathedrale zeichnet ein interessantes Untergestell aus. Das ganze tragende Gerüst bildet keine bloße physikalische Statik, sondern eine Handlung von Menschlein, denen die Last des geweihten Hinterns, die sie ertragen, deutlich anzusehen ist. Dabei sind die verschiedenen Anteile am jeweiligen Arbeitsaufwand mit katholischem Realismus gut unterschieden. Den beiden Hauptträgern links und rechts krümmt die geweihte Last den Leib, während eine kleinere Figur in der Mitte nur locker eine symbolische Hand mit anlegt.
Vermutlich ein Manna-Käufer.

Im Dom trägt ein kleiner Sarazene das Taufbecken.

Mich wundert, dass ich so fröhlich bin...

Was an den normannischen Kirchen in Süditalien fasziniert, ist ein einzigartiges Raumerlebnis und dessen klare Ansage: im langen Schiff hat man die Illusionslosigkeit der Leidensperspektive bis ans Ende, das mit dem wonnigen Wahn der Erlösung durch einen Gekreuzigten winkt.

Bei längerem Befahren des Meers der Geschichte verliert sich der Glaube an dessen Respekt vor der Anständigkeit ganz von allein.

II
Ewige Dienstbarkeit also scheint dem Menschengeschlecht seit jeher verhängt.

Was trotz allem auf diesem Boden hoffen macht:
- Die Graffiti der lebhaften Anarchistenszene in Lecce, einer nicht sehr berückenden Barockstadt, die abzudienen mir das schlechte Gewissen gebot, das sich bei meinem anerzogenen Kultur-Respekt regelmäßig einzustellen pflegt, sobald der Baedeker punktet.
Diesen Kasperle-Barock, dessen Dekorationslust jede architektonische Aussage überwuchert, kennt man aus Spaniens plataresker Ornamentik zur Genüge. Man muss sich schon arg konzentrieren, wenn man dem Selbstzweck dieses üppigen Zierats die fast zum Verschwinden gebrachte Struktur ablesen will.

Erfreulich hingegen die Graffitiszene in einer Stadt, die von ultra-rechts gebürgermeistert wird, und an deren Polizeipräsidium seit Mussolini prangt: „TUTTO NELLO STATO/ NIENTE AL DI FUORI DELLO STATO/ NULLA CONTRO LO STATO.
Der Hintergrund der Lebhaftigkeit:
Fünf Anarchisten wurden angeklagt und bei fadenscheiniger Beweislage auf der Grundlage eines Terroristengesetzes, das uns so erst noch blüht, zum Einsitzen verknackt, weil sie sich "Farbschmierereien" gegen einen Priester erlaubt hatten, der ein Migranten- Durchgangslager leitet und der, wegen der Misshandlung von 17 marokkanischen MigrantInnen eigentlich Schlimmeres verdient hätte.
Verständlich, dass man dann den berufsmäßigen Enthaltsamkeitspredigern ein bisschen von ihrer eigenen Medizin zu schlucken gibt: ABSTIENITI AL CLERO!( „Beflecke dich nicht mit dem Klerus“!)

Schützenhilfe der Antike
Was auch zum erleichterten Aufschnaufen geeignet ist:
Dem Dichter Horaz wollte man auf seiner Reise nach Brindisi einreden, ohne Feuer und Glut verdampfe der Weihrauch auf heiliger Schwelle.
Seine Reaktion: „Das glaube der Jude Apella,
Nicht ich, welcher gelernt, daß mühelos leben die Götter,
Und nicht, wenn die Natur was Seltsames schaffet, des Himmels Grämliche Mächt' es senden herab aus olympischem Obdach.“

Das ist jetzt über 2000 Jahre her, und siehe da: Frühling und Ausfahrt des Geistes ist also immer möglich.

Zum Pilgerwesen auf dem Gargano
Auf dem Sporn des italienischen Stiefels gibt es einen Monte Sant´ Angelo, ein dem Erzengel Michael gewidmetes, alteuropäisches Pilgerziel. Dort befindet sich eine Tafel, die verkündet: “Haec est domus spezialis in qua noxialis quaeque actio diluitur.
Hier geht mir zum ersten Mal der schlichte Grund für den Erfolg des Pilgerwesens in allen Religionen auf: “Dies ist ein besonderes Haus, in dem jegliche schädliche/ schädigende Handlung abgewaschen/getilgt wird.“
Die Anziehungskraft dieses ideellen Konzepts liegt in dem Umstand, dass man das unausweichliche wechselseitige Schlagen tiefer Wunden naturgemäß nicht sich selbst verzeihen kann.
Und daher findet man am exterritorialen Ort seine Lossprechung vom „crimen“.
Der Dialektiker in mir weiß aber mit eben der selben Gewissheit, dass die darin liegende Knechtschaft erst dann wirkliche Befreiung garantiert, wenn der Beschmutzte auch sich selber vergibt.
Keine noch so tiefe Durchdrungenheit von „...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern...“ ersetzt die Fähigkeit zum Freispruch durch mich selbst als Voraussetzung für die Absolution des Anderen von dessen Schuld.
Übrigens ist diese Ketzerei der ewige Anlass für die Verfolgung der Mystiker durch die Rädelsführer der Amtskirchen.

Jetzt weiß ich, wieso ich fröhlich bin. Ganz ohne die blühenden Mandelbäume und die gelben und orangenen Blumenteppiche unter den endlos auf der Murgia sich dehnenden Olivenbaumgärten.

- Und die Zukunft ist zwar auch nicht mehr, was sie schon mal war, aber Scheitern ist besser, als es erst gar nicht versucht zu haben.

Samstag, 21. Februar 2009

Ägyptenreise.

Oder: Schnüffeln am Essentiellen,
hastig hingeschmiert auf Ostraka.

„...man wird aller Weisheit überdrüssig, außer der, die alle
Weisheiten Lügen straft.“
(Nagib Mahfuz: Das Hausboot am Nil)

Ägyptische Kultur – das sind mehr Jahrtausende vor Christus als wir seit Christus zusammengebracht haben.
Grund genug, mal hinzuschauen, weil ganz offensichtlich in diesem Raum Sinnstiftungsmethoden ersonnen wurden, die in Abschattungen bis ins Christentum tradiert wurden. Den Rechtfertigungsdenkern ist dieser Traditionszusammenhang gewöhnlich ein Anlass zu einem „Siehste!“ Die von ihnen postulierte Notwendigkeit allgemeiner Spiritualität könnte aber genauso gut sich dem Elend verdanken, das sich nach Selbstbefriedung gegen aufkeimende Rebellionsgelüste umsieht. Auch Kompensation mag gelegentlich den Ausschlag geben.
Man nehme bloß mal das mit der Seelenvorstellung. Sie entsteht aus dem schlichten Gedanken, dass dem da liegenden Toten etwas fehle, was vorher da gewesen sein müsste. Dieses nunmehr Fehlende nennen die Priester Seele (Ba).
Dabei fehlt da gar nichts! So tot einer in seinem Leben auch gewesen sein mag (ohne Ba zu Lebzeiten), so sehr war er doch ebendies, was er jetzt als Leichnam nicht mehr sein soll: ein Dies - Da, und kein Die Zwei Da.
Und weil das falsche Denken immer ein wenig langweilig ist, hier zur Abwechslung ein einführender, ernst gemeinter Scherz. Das mit der Wiederauferstehung (Wiedervereinigung der Seele mit dem Körper) erscheint mir gänzlich unproblematisch. Sah ich doch selbst wie in Las Vegas Elvis um die Ecke bog, dessen Ableben wir seit Jahrzehnten betrauern.
Und Jesus - Inkarnationen gibt es in jedem Jahrhundert mindestens eine.

Was einem auch auffallen könnte: die Einfältigkeit der Bildprogramme, die durch die Jahrtausende immer wieder die selben Unglaubwürdigkeiten mit der Ästhetik des Erhabenen auf den Daherkommenden einbrüllen. Es wird wohl unumgänglich zu Bemerkungen zu und Seitenblicken auf die fatalen Wonnen der gestalteten Erkenntnis kommen.

Denn der Skeptizismus ist keine Erfindung der neuzeitlichen Aufklärungsliteratur, sondern schon fester Bestandteil der nicht religiösen Literatur des Mittleren und Neuen Reiches. Dort werden die in unterschiedlicher Form beschriebenen Jenseitsvorstellungen von einem Jenseits am Himmel oder unter der Erde, die Idee vom Toten - Gericht und von der im Jenseits weiter wirkenden Seele schlicht abgelehnt. Der Fortdauer im Jenseits wird eine Fortdauer im Diesseits gegenüber gestellt, etwa in der Abfolge der Generationen oder in der Erhaltung des Namens.
Materialismus als Weltanschauung begleitet das Showbusiness der Priesterkaste von Anfang an.
Leseanweisung: Dies ist eine Kundgabe schöner Kenntnisse, und eben nicht als Empfehlung eines Standpunkts zu verstehen.

03. 02. 2009 Kairo
Abflug von Frankfurt verspätet.
Bangen um Anschluss in Genf. Dort alle Computer zusammengebrochen. Doch, Hamdullillah, der Flug nicht gecancelt, bloß verschoben.
Ärger mit den Taxifahrern am Flughafen in Kairo, die alle dich fahren wollen, und du bist doch bloß einer, der für alle die gerade stehen soll, die gerade nicht da sind, um den Taxifahrern die weit offen stehenden Taschen füllen zu können, um sie glücklich zu machen.

Heute dann das Ägyptische Museum. Merkwürdige Erfahrung, diese Jahrtausende, die da rumstehen, und mit dir reden wollen. Viel Vernünftiges dabei. Siehe den „Schreiber“ oder den „Dorfschulzen“. Beruhigend zu sehen, dass an der Geschichtsjenseitigkeit von Würde nicht herumgegrapscht werden kann. Dies ist das Maß, an dem alle schamlose Aufgeregtheit der Herren und Knechte seit jeher zuschanden wurde.

Der Toten- und Herrscherkult ist mir aber doch irgendwie zu heavy. Schließlich ging es ja keineswegs ab ohne die Hunger - Aufstände gegen die Pyramidenbauer. Und so meldet das Schwarzbuch der Geschichte, dass in diesen Fällen auch keine funktional eingesetzte Staatsgötterei mehr nützt:
Weil aber Hunger und Gewalt herrschen, erfüllt Weinen und Seufzen das ganze Land. Die Bilder der Götter werden zertreten...Das Volk rühmt sich offen seines Unglaubens. Sie hören auf, Rauch- und Tieropfer zu bringen. Heiligtümer werden geplündert, Leichen aus den Gräbern geholt, der alte Glaube ist krank geworden. Die Priester haben ihr Ansehen verloren..“
Zurück zur Gegenwart. Noch ernähre ich mich vorläufig lieber aus den mitgebrachten Aldi- Vorräten. Der Dreck und der Lärm ist halt schon schockierend, und man muss dauernd Ekelattacken niederkämpfen.

Gut, dass den hiesigen Islam - Anhängern das Betteln irgendwie nicht erlaubt scheint. Dafür halten sie die Hand für jede dir angediente Dienstleistung auf. (Nachträgliche, sichere Erkenntnis: Ägypten ist für den einzelnen Reisenden vom einen bis zum anderen Ende ein unendlich scheinendes Defilé aus Handaufhaltern.)
Inzwischen habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich werde doch mit Bussen über die Oasen der westlichen (Libyschen) Wüste nach Luxor fahren und nicht mit dem Nachtzug am Nil entlang.

Mittwoch, 04. 02. Gizeh
Während du dir zuhause den Arsch abfrierst, sitzen diese irgendwie komisch aussehenden Leute (Nubier, Beduinen und Kopten) in und an den Cafés auf der Strasse, rauchen ihre Wasserpfeife und lassen es sich gut gehen. Schon am hellerlichten Morgen.
War ziemlich heiß heute. Deswegen die Pyramiden (viel größer als man sie sich vorstellt) von Gizeh nur vormittags abgelatscht. Flüchtete erstmals in ein „Kentucky Fried Chicken“ wegen der Klimatisierung, und ich genoss die Sphinx und die Pyramiden dahinter ein Weilchen von der Zivilisationsoase aus.
Der Verkehr ist halt das übliche nervige Drittwelt-Gewusel. In Gizeh aus der Metro steigend stößt man auf drei bis vier Spuren von Autokolonnen, die eifrig bestrebt sind irgendwie stadteinwärts zu kommen. Die, welche ihren Irrtum eingesehen haben, dass es da nichts gibt, was ein längeres Verweilen rechtfertigen könnte, eilen auf ebenso vielen Bahnen stadtauswärts. So ist die Lage. Und du musst auf die andere Seite, um einen Minibus zu den Pyramiden abzufangen. Also bekreuzige dich und nimm die Beine in die Hand.
Vier Bahnen Autos, wo nur drei vorgesehen sind. Kommen noch zwei Reihen dazu, die dauernd zugeparkt sind, weil es in Kairo keine offiziellen Parkplätze gibt. Ein Beispiel für das erwartbare Resultat: gestern Abend war ich beim Friseur. Wie ich als Verschnittener rauskomme, so nach 20 Minuten, ist immer noch Stillstand das Verkehrsprogramm.
Die Fußgängerei findet ebenfalls auf der Strasse statt, denn der Bürgersteig ist von Motorrädern, Flaschenkisten, Kleingewerbe, Müllhaufen oder gelegentlichen überaus wohlgenährt einherschlendernden Ägypterinnen zweckentfremdet. Es macht einfach keinen Sinn, stur darauf zu bestehen, auf dem Bürgersteig gehen zu wollen. Irgendeiner hat bereits fünf Meter weiter einen Grund gefunden, warum hier kein Bürgersteig sein soll, sondern der mit Autoreifen vollgepackte Vorhof seiner Autowerkstätte. Oder irgendwelche Stützbalken verhindern nicht nur dein Vorankommen, sondern auch das Herabfallen eines Balkons auf dich Passanten.
Nachmittags dann das islamische Viertel von Kairo. Schöner, schöner Orient, vor allem im nördlichen Teil. Bin auf eins der Minarette des Bab Zuweyla mehr gekrochen als gestiegen. Welch ein Aus-Blick!
Wenigstens bis zu dem Augenblick, wo du den Blick senkst und die Müllhalden entdeckst, zu denen die Nachbarn wechselseitig ihre respektiven Flachdächer gemacht haben.

05.02. Koptisches
Die ganze Eremitenbewegung und die assortierte Klosterkultur haben wir den ägyptischen Christen zu verdanken. Und dass die einen eigenen Papst haben, liegt überhaupt bloß daran, dass die Christenheit sich im 4. Jhdt. nicht einigen konnte, ob Christus nun Gott und Mensch zugleich oder wesensgleich gottmenschlich sei. Ich enthalte mich ostentativ jeglichen Kommentars darüber.
Ästhetisch sehr einnehmend, was in Alt-Kairo an Kirchen so rumsteht. Nur der Lärm der gegeneinander an brüllenden Fremdenführer geht auf den Geist, der lieber etwas "meditieren" möchte. Hier soll übrigens die Heilige Familie auf ihrer Flucht nach Ägypten Station gemacht haben.
Im ruhigen Ambiente des Koptischen Museums stolpere ich über eine hübsch gemalte Fabel aus ganz frühen Tagen: die Mäuse kommen bei der Katze um Frieden ein. Mit Fahne und Geschenken. Köstlich. Die Fabelkultur hier scheint ihren Ursprung im pharaonischen Gewaltverhältnis gehabt zu haben. Mal drüber nachdenken.

Anderes Denkwürdiges: schon in den ersten Jahrhunderten gibt es eine reichlich durchsichtige Symbolik der Herrschaft.: Da hat ein Adler die eine Klaue in ein Füllhorn gekrallt, und in der anderen hält er einen blühenden Ast mit Laub und Früchten.
Herrschaft als Voraussetzung von Wohlstand? Im Bewusstsein der Macher allemal. Es sieht aber für den unbefangenen Blick eher so aus, als ob sich dieser raffgierige Geier die guten Sachen einfach genommen hat.

Und dann gibt es noch Relikte aus der Verehrung eines populären Heiligen namens Menas (Abu Mina) zu besichtigen. Hunderte von zwei - henkligen kleinen, handtellergroßen , runden Flachmännern aus gebranntem Ton mit dem Oranten Menas (in der Uniform eines römischen Soldaten) drauf. Es ist ja wahr, manche Dinge ändern sich nie, und wenn, dann nicht abrupt und schon gleich nicht endgültig. Es waren Menas’ wundertätige Gebeine, die das erste Lourdes der Christenheit schufen.

Überhaupt ist diese koptische Kunst eine Fundgrube für die Übergänglichkeit der Symbolsprachen. Hier mischen sich ägyptisch Pharaonisches mit Ptolemäisch-griechischem und anderen Stil- und Vorstellungswelten. Stark: das koptische Henkel-Kreuz ist eine Mischung aus dem ägyptischen Seelenzeichen (Ankh) für das ewige Leben und dem christlichen Langkreuz. Der weiße Ritter Georg hat hier einen frühen ikonographischen Vorläufer, einen falkenköpfigen (Gott Horus!) Reitersmann, der mit seinem Speer das Böse in Form eines Krokodils erledigt.

Nachmittags auf der Zitadelle Saladins. Der Jakobsbrunnen, an dessen Ausschachtung er auch kriegsgefangene Kreuzritter sich zu beteiligen nötigte, ist noch da. Alles andere bis hin zur Alabastermoschee, dem Wahrzeichen Kairos, ist Baugeschichte. Man hat von dort oben einen berauschenden Blick auf Kairo, und Sicht bis zu den Pyramiden von Gizeh im Dunst am Horizont. Hinreißend kommt von hin gerissen!
Wenig erfreulich das dortige Militärmuseum. Patriotismus, das Religionsangebot für Gottlose und die restlichen Heuchler.
Morgen also mit dem Bus durch die Wüste zur Oase Bahariya.

06.02. Spuren im Sand
Langweilige 5 Stunden Busfahrt durch eine Geröllwüste.
Daher heute nur eine poetische Legende:
Mir träumte, ich ginge mit Jesus durch die Wüste. Von Zeit zu Zeit waren da statt zweier Fußspuren nur eine zu sehen.
Ich beklagte mich beim Herrn: "Du hast versprochen, du werdest immer bei dem sein, der an dich glaubt, bis ans Ende seiner Tage. Es scheint aber so zu sein wie in meinem Leben. In Zeiten der Not und Bedrängnis ist da immer nur eine Spur zu sehen gewesen."
Da sagte der Herr:" Es ist, wie du geglaubt hast. In den Zeiten der Hilflosigkeit konntest du nur eine Spur sehen, weil ich dich getragen habe."
Aus dem Gedächtnis übersetzt, also so ähnlich aufgefunden, in der koptischen Nonnenkirche St. Georg.
Dies ist ein christlicher Gemeinplatz, der mehr über den Mechanismus der Krisenbewältigung sagt, als dem lieb sein kann: dich trägt dein Glaube - welchen Inhalts auch immer - drüber weg. Insofern ist es auch gleichgültig, wer nun Anspruch auf Originalität erheben darf. Diese Wahrheit über den Glauben ist so universell, dass mit Sicherheit bereits die sich Gott dünkenden Pharaonen auf diese tröstende Zusage zurückgegriffen haben.

07.02. Bawiti
Ziemlich heruntergekommen, dieser Wüstenort in der Oase Bahariya. Heruntergekommen? Da müsste er ja erst irgendwann mal irgendwo hinauf gekommen sein. Was nicht so aussieht. Nur der von einem Dauerregenfall fast zerstörte alte Kern lässt noch die alte Lehmarchitektur und ihre hübsche Bänderdekoration erahnen.

Aber: das reine Idyll eines Spaziergangs durch die Stille der Palmenhaine, die von der heißen Quelle Ain Bischmu und einer kühlen weiter unten dem Wüstensand abgetrotzt werden.. . Dieses Plötzliche des frischen zartgrünen Grases unter den Dattelpalmen und Olivenbäumen , mit Kühen drauf und diesen eifrigen Eselchen. Weiße Kuhreiher staksen und picken und fliegen dazwischen herum.
Es überfällt mich der Wunsch, in Bahariya begraben sein zu wollen, und das Gras und der Klee zu werden, das die dermaleinstigen Kühe in den Palmengärten geruhsam schnaufend verzehren.
Dies ist meine Ewigkeit, derer ich mir mit all den vernünftigen Leuten seit dem nicht religiösen Denken des alten Ägypten gewiss bin. Verstehe gar nicht, warum alle Welt immerzu eins werden will mit Sachen, die es nur in der Vorstellung gibt. Das mit der tatsächlichen Einswerderei kommt doch noch früh genug und ganz von alleine...

Am wie restauriert wirkenden Bildprogramm im Grab des ängstlichen Weinhändlers Banentius kann man sich den Zusammenhang von magischem Denken und Todesfurcht klarmachen... Den Göttern der Unterwelt wird unentwegt eingeschärft, was für ein reiner und schützenswerter Mensch dieser erfolgreiche Kaufmann doch gewesen sei...

O8. 02. Oase Dakhla
Gestern, nach dem Morgenspaziergang durch die Palmengärten von Bawiti ein langer Bustransfer in die Oase Dakhla.
Erst die schwarze, von Magma überflossene Wüste, dann die mit phantastischen bizarren Kalkgebilden prunkende weiße Wüste und schließlich beginnt rechts die Dünung des großen "Sandmeers" der Sahara und links ein rosiger felsiger Steilabbruch. Die schönste Wüstenfahrt, die man mit einem Bus hinkriegt.
Neben der Atacama ist die libysche eine der trockensten Wüsten der Welt, und wenn es schon mal irgendwo Wasser gibt, dann verdunstet da mehr pro Jahr als es bei uns regnet.
Also eine sehr interessante, aber anstrengende Fahrt.
Heute Besichtigung der Oase im Taxi, zusammen mit einem amerikanischen Psychologieprofessor aus Taiwan und zwei koreanischen Studenten.

09.02. Luxor
Urspünglich hatte ich ja ganz was anderes vor, aber Allah fügte es so - gepriesen seien seine 1000 Namen -, dass ich einen Mini-Bus nach Kharga nehmen musste, dessen Fahrer unterwegs ein Taxi ansprach, das nach Luxor direkt unterwegs war. Sonst hätte ich für den umwegigen Transfer hierher 13 Stunden gebraucht.

Diese Wanderdünen haben doch vor nichts Respekt. Die Abu Moharrik Düne, kurz vor Kharga, die sich der Nordwind nach seinem gusto auf 500 km zurechtgeblasen hat, überschreitet mit einer Geschwindigkeit von 10 Metern pro Jahr alles, was sich ihr in den Weg stellt. Man sieht das an der alten Straße immer dort, wo sie noch nicht zugeweht ist.

Konnte mir den Fahrpreis mit einer bereits an Bord befindlichen englischen Lady teilen. Die war mindestens so britisch wie Miss Sophie aus Dinner for One. Fischte die doch tatsächlich aus ihrer Handtasche einen Teebeutel für das von ihr bestellte heiße Wasser und dann auch noch ein Fläschchen mit Milch für ihren damit zubereiteten Tee: “Delicious!“

Die Hitze hier im Tal des Nil ist doch schon ziemlich drückend. Das erste Hotel (Nefertiti) war leider ausgebucht. Was ich übersehen hatte, die gutsituierten Ägypter nutzen ihre Ferien wie alle Touristen. Und so blieb mir trotz längerer Suche im Zentrum nur dies ziemlich laute und abgewohnte Hotel Venus.

10.02. Luxorieuses
Also dieses Karnak bei Luxor erschlägt einen einfach. Das Zeug steht da schon länger vor Christus herum als es nach Christus überhaupt schon Jahre gibt. Und da führten glatzköpfige Priester die Leute am Narrenseil erfolgreich herum durch mindestens zwei Jahrtausende.

Das Bildprogramm ist dementsprechend einfältig: die Pharaonen, Menschen, die den Leuten weis machten, sie seien so was wie Götter, sieht man in gewaltigen Reliefen da ewig am Opfern. Jetzt aber nicht so, dass denen dann hinterher was fehlt...wie unsereinem, wenn man sich was vom Herzen reißt. Mehr so ne Zeremonie, wo dem Gott, also sozusagen ihm selber was dargebracht wird. Schließlich muss ja einer dafür sorgen, dass auch morgen die Sonne aufgeht. Gewaltig, in jeder Hinsicht. Sowohl der Beschiss wie seine umwerfende Präsentation.

Der Tempel von Luxor, also sozusagen das Prozessionsende des heiligen Wegs, hält es mehr mit der Eleganz als Stilideal. Edel. Edel.
Aber muss denn da dauernd der Gott Atun mit seinem erigierten Prachtstück prunken, um dezent symbolisch seine Fruchtbarkeit anzudeuten, ohne die ja wohl sonst im Nil-Tal nix gelaufen wäre. Mir persönlich wäre es aber lieber gewesen, wenn man die weibliche Leibesmitte als Quelle der Fertilität zum Symbolisieren gewählt hätte.
Aber so geht nun mal das Patriarchat. Sitzt so was göttergattenmäßig kolossale 10 Meter hoch herum, und die Gemahlin reicht - im Schatten ihres Herrn - ihm gerade mal bis zur Kniekehle.

Mittwoch, 11.02. West-Bank
Bin mit einer elenden Krücke von Fahrrad die Totentempel, Prinzengräber und Privatgräber abgeradelt. Vom Fruchtland zu den roten Felsklippen als kolossale Fassade. Auch ein bisschen herumgewandert. Schön da.

Es gibt da so Aussetzer. Wo es zu biblischen Absencen kommt, die Zeit in einer Bewusstseinslücke ausgelöscht ist. Wenn der Fellache mit seiner Hacke morgens aufs Feld zieht und du ihm an der bunten Wand eines Grabfrescos, nur wenig später, wieder begegnest.

Die Prinzengräber sind teilweise so bunt und sexy wie am ersten Tage. Und das Privatgrab des Ramose mit seinen zarten Reliefs ist so schön, dass es im Herzen zieht. Vielleicht kennst du den süßen Schmerz beim Knibbeln an einem Grind. Genau so ist es bei der gestalteten Erkenntnis und ihrer erkannten Gestaltung, halt beim nicht religiös angeleiteten Kunstgenuss. Dem ist allemal eine Verletzung vorausgegangen. Aber jetzt heilt es.

12. 02. Alt-Theben
Gestern habe ich mir in Medined Habu den Tempel von Ramses II angeschaut. Der war nicht zimperlich, wenn einer meinte, er müsse sich als Feind oder sonst ein Hindernis aufführen. Die Reliefs über die Schlacht bei Kadesh lehren alle damals bekannte Welt das Fürchten. Da liegen ganze Haufen von abgeschnittenen Händen und Berge von - du liest schon richtig - abgehackten und zu fettucine - ähnlichen Haufen aufgeschichteten Penissen dem Gerechtigkeit übenden Ramses zu Füßen.

Die Königsgräber in Theben-West illustrierten das merkwürdige Interesse der Ägypter an dem, was die Sonne wohl so im Verborgenen treiben mag, wenn sie als Gott 12 Stunden einfach mal weg ist. Das ganze kann man in Totenbüchern, Höhlenbüchern und sonstigen fragwürdigen Lesestoffen nachlesen. Hier steht’ s an der Wand: die Seele (Ba) des toten Pharao macht sich mit der gestorbenen Sonne auf einen heldenhaften und höchst gefährlichen Weg durch die Unterwelt und vereinigt sich in der 6. Stunde wieder mit ihrem Leichnam, um nach der 12 Stunde wiedergeboren zu werden. Richtig ist daran, dass die Sonne tatsächlich wieder von den Toten "aufersteht."

Was also ist religiöse Kunst? Ist gestaltete Erkenntnis nicht dasselbe wie ein gemalter, gebosselter usw...Gedanke? Also defizientes Denken, das sich selbst zu Hilfe kommt mit der Leugnung, überhaupt Gedanke zu sein, um flugs einen Mythos der Wohlaufgehobenheit zu inthronisieren?
Das ist der Grund, warum sakrale Kunst gar nicht anders als fundamentalistisch daherschreiten kann. Im Diesseits der Moderne schmarotzt aus dem selben Grund gar manches Kunstprogramm gern an den höheren Weihen von hieratischen Schauern.

Freitag, 13.02: Internationale Heimatkunde:
Lektion Ägypten.
Bin ja nun schon etwas herumgekommen auf diesem Planeten. Aber Ägypten ist das Korrupteste, was mir untergekommen ist.
Heute morgen z.B.: Ich bestelle mir für zwei Pfund (= 26 Cents) Falaffel. Der Vater ruft seinem bedienenden Sohn was zu. Der macht ein ungläubig-belustigtes Gesicht. Vermutlich hat der Vater seinem Sprössling zugerufen: "Gib ihm die von gestern.!“
Woher ich das weiß? Mir wurden zehn Stück eingepackt, obwohl mir für den Preis nur fünf zugestanden hätten. Außerdem ist mir seither von den dreien schon schlecht, die ich vorsichtshalber bloß gegessen habe.

Oder in Dhakla, wo ich erst mal mit dem Minitaxi losgezogen bin. Das Taxi fährt eine Gruppe von Männern an und ruft ihr das Fahrtziel zu.
Keine Reaktion.
Weiteres überredendes Arabischgebrabbel.
Da kommt Bewegung in die Leiber. Bin mir sicher, da war durchgegeben worden: "Kostet euch nix. Der Almani hat schon für euch alle gezahlt."
Die lügen dir hier ins Gesicht, wenn es um den Abschluss eines für sie vorteilhaften deals geht, und darum geht es immer. Jede Konversation ist eine Einleitung zu einem Verkaufsgespräch. Oder gleich der Formelkram (Name, Herkunft, Hotel?), der damit endet, dass der Sprecher Geld will. Kurzform: "Hello,.. give me money." Das vergiftet jede mögliche Beziehung schon im Vorfeld, wegen des sich langsam aber sicher verfestigenden Vorurteils.
Man kann sich hier schon einbilden, man sei ein Mensch, womöglich noch ein sehr wertvolles Exemplar der Menschengattung. In der unverfälschten Scheiße der dritten Welt bist du aber nichts als "Money" auf zwei Beinen. Allah schickt die Regierung und die Touristen. Von der Regierung ist so was von gar nichts zu erwarten, die muss umgekehrt ihrerseits geschmiert werden, wenn man was von ihr will, also muss man sich an den Touristen halten. Und du zahlst immer dafür, dass du nicht das "government" bist.

Nein, das sind hier keine wohlerzogenen politisierten Staatsbürger, die mit ihrer Obrigkeit zu kalkulieren gelernt haben und enttäuschungsfest jedes gescheiterte Kalkül wegstecken. Von daher auch ihre - uns nervende - Einstellung zum Müll. Die leben hier mehr oder weniger auf Müllhaufen, denn die Reichweite des erfolgreichen Gestaltungswillens endet an der Haustüre. Jenseits davon soll sich doch das government um die alle Kanäle verstopfenden Plastikflaschen und die Batterien im Wüstensand kümmern.

Es bleibt dabei: Die Bestimmung, die dem eingebildeten Touristen zukommt, ist der Gebrauch, den man als elender Einheimischer von ihm zu machen gedenkt. Ist er nicht artig, hört man schon mal ein verärgertes: "Fuck you." hinter sich. Oder:"What are you here for?" Da sagt man dann schon mal: "Not for you."

Mir ist schon klar: die Überlebenskunst erzwingt ihre eigenen Gesetze, auf deren innovativ-kreative Ausgestaltung sich die Ausübenden dieser Kunst einiges zugute tun. Aber nur das Letztere schlägt mir aufs Gemüt.

Dieser ganze Staat hängt wie Israel am Tropf der Amerikaner, weil die damit einen zuverlässigen Militärposten im nahen Osten haben. Die politische Elite bedient sich der aus Amerika fließenden Gelder und lässt der Bevölkerung nach Maßgabe ihrer Interessen auch ab und zu mal was zukommen. Dann bleibt als Normalität also das "Jeder für sich und gegen den Touristen, und Allah für alle."
Werde trotzdem wiederkommen. Die Exotismen haben es in sich.

Samstag, 14. 02. Exotisches
Ich habe viel Zeit bis heute nacht um Viertel vor 10. Da geht mein Schlafwagenzug zurück nach Kairo. Und da schreibsele ich halt noch ein bisschen vor mich hin. Draußen ist es eh zu heiß.

War gestern noch mit dem Taxi nach Dendera ausgeflogen. Eine Tempelanlage aus der Zeit der ptolemäisch-römischen Herrschaft. Da gilt es zweierlei Aufhebenswertes sich zu merken:
1) Die grundsätzliche Ohnmacht aller Bilderstürmerei. Vermutlich irgendwelche Christen haben sich an den heidnischen Reliefs im Mammisi (Geburtshaus des Hathor - Sohnes Ihi) eifrig schändend vergangen. Nur blöd, dass den ungetilgten Umrissen immer noch – und jetzt erst recht - die Erzählung der erwachten Neugierde entzifferbar ist.
2) Wer eine Symbolwelt tatsächlich tilgen will, der tut gut daran, sie auszuhöhlen, indem man das eigene Programm dem schon Existierenden unterschiebt. Und so sieht man in der Vorhalle die römischen Kaiser Tiberius und Claudius, Augustus und Nero - als Pharaonen kostümiert – vertraulichen Umgang mit den hiesigen Göttern pflegen.

Also das mit den Exotismen, das sind z. B. die Shisha- (Wasserpfeifen) raucher in den Cafes und das Getue drum herum. Da braucht es einen eigenen Boy, der hin- und herwetzt, um das Wasser in den Ballons zu erneuern, neu Kohlen aufzulegen usw. Das blubbert dann friedlich vor sich hin, wenn mal kräftig an dem gewaltigen, verzierten Schlauch gezogen wird. Draußen radelt einer vorbei , eine Tür auf seinem Kopf balancierend, auf der Berge von Fladenbroten geladen sind. Ein Lattenrost tut es aber auch.
Um die Ecke ist ein Kafeeröster, dem man beim Umschaufeln der heißen Bohnen zuschauen kann. Die Kohlköpfe auf dem Markt sind etwa fünf Mal so groß wie bei uns. Und fast überall riecht es nach Pferd, also nach Pferdeschweiß, Pferde-Urin und Pferdeäpfeln. Denn der Personentransport erfolgt hier an der Corniche klassischerweise per Kaleschen. Selbst wenn das Pferd in das hinter ihm hängende Tuch äpfelt, der würzige Geruch verbleibt in der Luft.
Abends dann mein Lieblingsplatz am Nil. Da hat es eine von der Sonne schön durchgewärmte Marmorbank, auf der man bei angewärmten Hintern den Sonnenuntergang genießen kann. Die Mastbäume der Feluken schwanken sacht im verebbenden Abendwind. Am anderen Ufer Minarette und die Fransen des Palmenhorizonts. Darüber das Orange, das es mir nun mal angetan hat. Weiter oben fahlt das aus und geht in immer intensivere Blautöne über.
Wenn dann die Sonne weg ist, knipst jemand in Blickrichtung die Venus, den Abendstern, an, und hinter mir schießt die Beleuchtung des Luxortempels empor.
Du merkst, ich bin ein lernfähiger Nichtstuer geworden. Trete sogar der Auffassung des koptischen Papstes Kirilos VI. näher, der da meinte:" Sei du ganz friedfertig und denke nicht groß drüber nach, sondern überlasse das dem, der sich darum kümmert. " Früher hätte ich das für die blanke Unvernunft gehalten.

Sonntag, 15. 02.
Er sagte sich, es sei nicht verwunderlich, dass die Ägypter Pharao göttliche Ehren erwiesen hätten; verwunderlich aber sei, dass Pharao selbst geglaubt habe, ein Gott zu sein.“ (Nagib Mahfuz: das Hausboot am Nil)

Der Pharao ein Gott?!
Lachhaft, wo ich doch genau weiß, dass ich es bin, und es mich insgeheim wurmt, dass der Gottesbeweis noch immer noch nicht gelungen ist.

Und was lernen wir aus all dem?
Zwischen Glauben und glauben gemacht werden besteht kein Unterschied, für den zum Glauben Bereiten.
Diese Berufung auf den freien Willensakt ist nicht einfach nur eine Äonen alte Ausrede der Priesterschaft.
In einer unübertrefflich präzisen Metapher geht es im Deutschen genau so zu: Glauben schenken.

Geschenkt.


Links:
http://www.sothebys.com/app/ecatalogue/ecat.do?dispatch=displayImageViewer&lot_id=159497457&SIZE=smaller

Viele, viele Bilder. Durch Anklicken zu vergrößern von meinem derzeitigen Lieblingsmaler David Roberts
http://commons.wikimedia.org/wiki/David_Roberts?uselang=de

Näher an der Realität, wofern man bei Kunst von Realität reden kann:
http://www.daheshmuseum.org/collection/detail.php?object=pavyp_2

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