Reisen-Kalkutta, Darjeeling, Sikkim

Montag, 12. April 2010

Kalkutta, Darjeeling, Sikkim III

29. März
Wenn des Menschen Wille sein Himmelreich ist, dann ist die Verhinderung jedes Erfolgs einer Willensregung die Hölle.
Wir sprechen hier über Darjeeling.
- Du willst an der Toy-Train-Station den Nachtzug nach Kalkutta buchen. Da darf nix schief gehen. Tagelang vorher ist schon ausgebucht.
Und nu? Kein Diensteistender weit und breit.
Nach einer ¾ Stunde gibst du das Schlangestehen auf. Vermutlich ist wieder mal der „server down“.
- Also jetzt an die mail - Schreiberei!
Aber das komplette internet ist in Darjeeling ausgefallen.
- Du willst bummeln, und ein ernsthafter Regen – nicht so ein Larifari, das dich zwar auch durchnässt, aber mehr hinterrücks und nach und nach - hält kräftig dagegen.
- Also mit dem wehen Kopf (Erkältung) ein bissl am Buddhismus rumdenkeln.
- Es steht ja ganz außer Zweifel, dass „Leidenschaften, Abneigungen und Verwirrungen“ zentrale Ärgernisse im menschlichen Miteinander darstellen. Mich freut so ein immer mal wieder auftauchender Realismus in den großen Religionen.
-
Jetzt kommt es aber sehr darauf an, wie es weitergeht.

Wenn einer eine „Abneigung“ gegen Feuerbrände wegen Blitzeinschlags hat, tut er gut daran genau hinzuschauen und dem Ding eine theoretische Fassung zu geben. Und wenn die das Gesetz erfasst, kommt der Blitzableiter zu Stande.
Aus den Abneigungen gegen die Kälte, den Zahnschmerz und die Finsternis sind viele leidensmindernde Dinge hervorgegangen, auf die eine tat – twam - asi - Haltung nie gekommen wäre.

Die Religionen sind sich in ihrem Befund über unsere beklagenswerte Lage einig und ziehen daraus den Schluss, dass man dann eben in entlegene Sinnprovinzen emigrieren müsse. Eins soll überhaupt nicht gehen: die wissenschaftliche Alternative, mit den Verwirrungen aufzuräumen.

Die Gesetze des Zusammenlebens zu begreifen geht aber nur dann nicht, wenn man Gesellschaftswissenschaften (Soziologie, Wirtschaftreligion ... usw) studiert, an Stelle dessen, was die Leute wirklich tun. Ihr Rumgemurkse ernst genommen, erweisen sich ihre Leidenschaften als eben so große Motoren wie ihre Abneigungen und Verwirrungen, die nach einer Phase der Skepsis zur Entwirrung im Wissen führen.
Bloß weil wir nicht alles wissen, berechtigt das nicht zur Häme über die Nicht-Befassungswürdigkeit mit den Leiden der Verwirrten.
Ich kann ja den geistlosen Materialismus unserer „Kultur“ auch nicht leiden. Aber doch nur, weil er mir als aufgedrungener bewusst ist.

Deswegen sind mir die angeblichen Paradoxa, die der Dalai Lama entdeckt haben will, keine Einladung zu seiner Sorte Spiritualität. Beispiel: Unsere Zeit habe so viele Kommunikationsmedien hervorgebracht, aber man rede immer weniger mit einander. Und das soll ein Widerspruch sein, der in der Sache selbst liege und sich deswegen zu Fall bringe?

Dazu wäre zu sagen: man muss dem Mittel (Medium) schon erst mal den Zweck der allgemeinen Verständigung unterstellt haben, bevor ihm ein Verfehlen seiner Bestimmung angekreidet werden kann. Es steht aber bei der Ein-Weg-Kommunikation von vornherein kein gewaltfreies Geplauder im Programm, sondern ein VERABFOLGEN. Und das klappt doch hervorragend. Siehe Staatsrundfunk und Fernsehen von Kanal 1 bis 200.
Des dollen Lamas Anmahnung der Aufhebung eines Sinndefizits ist es, worauf das metaphysische Bedürfnis gerne hereinfällt, von der BILD bis zum Herrn Koch. So einig wie die sich sind, kann man getrost von einem gewollten 1000jährigen Reich der Sinn-Defizitler ausgehen. In ihm erscheint nämlich die Abwesenheit und der Mangel als Füllhorn alles rundum Befriedigenden.

30. März Transfer nach Gangtok (Sikkim)
Die Jeeps, mit denen hier der Personenverkehr vonstatten geht, sind in einem besorgniserregenden Zustand.
Statt eventuell vulkanisierter Reifen, weisen diese - fast durchgehend - kalt aufgeleimte Laufflächen auf.
Der Ersatzreifen, bei dem schon das Gewebe freiliegt, ist auf dem Dach untergebracht, damit auf dessen rückwärtiger Aufhängung noch ein weiterer Fahrgast sich verankern kann.
Es schaudert einen beim Nachzählen der Muttern, die den Reifen in der Laufrichtung fixieren sollen. Alles Quatsch, was der TÜV sagt. Vier von denen tun´s doch auch.
Der linke Außenspiegel fehlt bei den meisten Jeeps. Wenn er noch dran ist, dann deswegen weil dieser nutzlose Schnickschnack 24 Stunden am Tag nach innen geklappt ist.

31.März
Ausflug zum Kloster Rumtek. Das ist eine originalgetreue Nachbildung eines tibetischen Klosters, errichtet in den 60ern.

http://www.shunya.net/Pictures/Himalayas/Sikkim/Rumtek02.jpg

http://www.shunya.net/Pictures/Himalayas/Sikkim/Rumtek03.jpg
Die Architektur streng, very basic.
Die Eingangshalle mit dekorativem Freskenprogramm:

http://www.shunya.net/Pictures/Himalayas/Sikkim/Rumtek07.jpg

Ein sympathischer französischer Osho-Jünger, der den Meister noch mit zum Scheiterhaufen getragen hat und eine lovely english lady von ca. 70 Jahren waren mit von der Partie. Good company.
Bei den Gesprächen fiel mir auf, dass unsere Übersetzung von „conscience“ als „Bewusstheit/- sein“ wegen ihrer aufspaltbaren Objektgerichtetheit falsch ist. Dass in lateinisch conscientia die eigene Involviertheit in einem mit - gewußten Horizont gemeint ist, wird im Deutschen durch den lexikalisch schon - und anders - besetzten „Mitwisser“ verdeckt und verunklärt.
Na ja, Leute, ihr merkt schon, es regnet mal wieder, und Seine Merkwürden spintisiert sich mal wieder über die Stunde bis zum mail-Schreibseln, wo er seine Renate mit Worten streicheln geht.
Bei diesem nachmittäglichen Gewitterregen sind die Alternativen knapp.

01. April
Fahrt zum Tsomgo Lake, nahe der chinesischen Grenze.
Unserer war der 192. - per Permit zugelassene - Jeep
Das ehemals wohl heilige Gebiet glich also eher einem Jahrmarkt, den die Inder zum Rumbalgen im Schnee nutzten.

http://voiceofsikkim.com/wp-content/uploads/2009/08/TPhotoBig771.jpg

Das Unwetter der letzten Nacht hatte den Fels sehr schön herausmodelliert. Kommt im Foto aber nicht so recht raus.

02. April
Was ich noch sagen wollte zu Sikkim.
Ganz Indien ist eine einzige Müllkippe. Da sticht Sikkim mit seinen strengen Umweltgesetzen angenehm dagegen ab. 5000 Rupien kostet es, wenn man beim Vermüllen der Abwasserkanäle erwischt wird, „oder 6 Monate Einsitzen oder beides.“ So kommt die Schweiz Indiens zu Stande.
Aber nur in der Werbung.
Wo nicht dransteht, dass hier eine „litter- and spitfree zone“ ist, sieht es tendenziell aus wie in Indien.
Ist aber doch ein vorsichtiges Aufatmen des Europäers zu konstatieren.
Hat das was mit dem ökologischen Bewusstsein des Buddhismus was zu tun.
Wie überhaupt die nüchterne Strenge des buddhistischen Tempels von Europäern dem Schmuddellook des Hindutempels vorgezogen wird, in dem es zugeht wie im anti-autoritären Kindergarten während der Malstunde. Da mischen sich die Farben mit den Speisegaben der morgendlichen Puja. Die Affen schmeißen mit dem ungekochten Reis rum, und den Tauben gefällt es da auch. Vom Blut der Opfertempel gar nicht zu reden.

03 April:
Langsames Zurückarbeiten in Richtung Kalkutta
Es ist unglaublich, wie fett man von der Keuschheit und den kargen Reismahlzeiten eines Mönchs werden kann.
Der Mönch in der roten Kutte neben mir im Bus nach Kalimpong war wohl auch einer, den seine Eltern zum Mönchstum verdonnert hatten, so unanständig breit wie der sich machte.
Kann aber auch sein, dass er auf dem Leib- und Magenspruch der Buddhies besteht, dass das Leben Leiden sei, und er mir das nachdrücklich zu bedenken geben wollte. Statt sich bescheiden – mit nach vorn fallenden Schultern – zwischen uns zu quetschen, verschränkte er die Arme vor der Brust. Mit blieb von meinem Sitz ein linkseitiges Drittel, das ich mit meinem Sitzbein umkreiste, weil ein - dem Sitzbein in seiner Oberflächengestaltung ähnliches Pendant - im Polster verborgen lauerte.
Erwähnenswert vielleicht noch, dass in Sikkim und in Westbengalen das sonst in Indien übliche aggressive Marketing völlig fehlt. Keiner, der dich mit freundlichen Worten überfällt, die sich als Einleitung zu einem Verkaufsgespräch herausstellen. Keiner, der dir ein „fuck you“ hinterher ruft, wenn du die Besichtigung seines Ladens ausschlägst, weil das heute schon die hunderste Anmache war.
Geschäftstüchtig ist man hier auf diskretere Weise. Vom Preis des Zimmers her durfte ich annehmen, dass ich „hot shower“ inclusive hätte. Die Wirtin versicherte mir das auch.
Leider lag da ein kleines „problem of communication“ vor.
Heiß und shower, ja, aber auf der Gangdusche, einen Stock tiefer, und nur abends zwischen 19 und 20 Uhr.
So geriet ich an das teuerste und zugleich schlechteste Zimmer meiner Reise.
Da hatte ich es wieder mal verdammt nötig, ein wenig zu buddhisteln:
-Cut your mind!
-Enjoy!
Sonst wäre ich doch glatt dem großen Dämon des unterscheidenden Gedankens erlegen, dem nicht alles Eins ist.
Mit festem Blick auf die Nicht-Zweiheit wurde ich gleichgültig der ungesunden Geistesverfassung gegenüber, die sich am liebsten mit einem kräftigen Sprüchlein der Abneigung verunreinigt hätte.
Um die Begierde nach der Welt und die Niedergeschlagenheit durch sie zu überwinden, begnügte ich mich mit einem situationsgerechten: SCHEISSE!

-3. – 4. April
Transfer nach und Einnisten in Kurseong
Es geht schön langsam auf die 40 Grad zu.
Leistete mir also den Luxus eines kühlen, sauberen, ruhigen Raums. Welch eine Köstlichkeit in Indien!

5. April
Gleich ist es 12:00 Uhr. Check-out time.
Dann werde ich ausgestoßen in die Welt eines permanenten Stress.
Runter also in die Gangesebene.
Außer profuser, kontinuierlicher Schweißproduktion war an diesem Tag nichts von mir zu erwarten.
Bei 40 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit ist das, als ob dir einer ständig einen nassen Waschlappen ins Gesicht klatscht. Einen warmen.

Aufatmen erst im klimatisierten Nachtzug von New Jalpaiguri nach Kalkutta.

06. April
Ankunft 6: 40 morgens in Kalkutta. Sich rumdrücken bis zur check - in time in einem flughafennahen Hotel.

Da strecken sich doch glatt welche im Strassendreck aus, längelang!
Vermessen sozusagen den Weg mit ihren ausgestreckten Leibern. Kreiden liegend ein Kreissegment vor sich auf den Asphalt, richten sich auf, gehen zu dem Strich, hinter dem sie sich wieder auf die Knie fallen lassen, dann auf die Hände, auf den Bauch.
Quer durch jede Pfütze, mitten durch den Straßenschlamm.
Von Zeit zu Zeit besprenkelt eine Begleitperson den Leibesübenden zur höheren Ehre eines Hindugottes. Kurz vor dem Erreichen des Tempels werden die Erschöpften mit Kübeln von Wasser auf ihren Rücken erfrischt.
Dann die „Squatter“ auf den ehemaligen Bürgersteigen!
Zwei Bambusstangen in den Rinnstein gepflockt, eine schwarze Plane drübergezogen und am Eisengitterzaun des begüterten Nachbarn jenseits des Bürgersteigs festgezurrt. Fertig ist das Eigenheim.

Litanei des Wartens
Auf den Flug bei feuchten 40 Grad.

Nach dem Einchecken im Hotel
sieht man mich auf der Bettkante sitzen, weil in einem Meter Entfernung, über dem Fernseher, ein Spiegel angebracht ist, und die Rasur nachgeholt werden muss.
Man sieht mich dem warmen Wind des Ventilators wollüstig hingegeben.
Man sieht mich mit unsäglich langsamen Bewegungen meine Sachen für den Flug sortieren.

Man hört mich so heftig meditieren, dass die Nachbarn Protest gegen die Wände trommeln.
Man hört mich mit dem Magen knurren, aber vor Sonnenuntergang verlasse ich nicht dieses Gebäude.
Man hört mich duschen und ganz schnell damit aufhören. Das Wasser hat mehr als Körperwärme.
Langsam rinnen die Schweißtropfen ins Laken und verzischen da.
Man hört mich murmeln: was war das doch so schön in der Waschküche der Berge, wo man morgens die klammen Kleider erst trockenwohnen musste.

Freitag, 9. April 2010

Kalkutta, Darjeeling, Sikkim

20. März
Habe Gebrauch von Kalkuttas Metro gemacht.
Gelähmt vor Entsetzen beim Anblick der Menschenmauer, die mich hinter der sich öffnenden Schiebetür der Metro erwartete, habe ich die erste einfach ohne mich weitermachen lassen.
Es war dann beim zweiten Anlauf tatsächlich so beängstigend eng, wie ich befürchtet hatte. Ich schwitzte dem Nachbarn die Hacken voll auf der Fahrt zum Kalighat - Tempel. Und er mir.
Die killen da doch tatsächlich für die Durga, die blutige Variante der Muttergottheit Kali täglich –zig Ziegen. Blut riecht, aber am schlimmsten stinken die warmen Eingeweide.
Für die sich von Unfruchtbarkeit bedroht fühlenden Frauen gibt es da einen Fertilitätsbaum. Für den und alles mögliche andere muss natürlich erst mal gespendet werden: „Help us to help you.“ So die heuchlerische Standardformel für ein sehr umständliches Verfahren, dessen charity - Wesen mit Sicherheit erst mal den Brahmanen und sonstigem Ministrantentum Wohltätiges erweist.
Natürlich ist es diesem Gauner von einem sich als Brahmane dieses Tempels anwanzenden Guide gelungen, mir für die „charity“ durch Vorlage eines Büchleins mit den Namen von edlen Spendern einen namhaften Betrag abzuluchsen. Ich wollte auf der Donation - Box bestehen. Aber die gäbe es hier doch nicht! Jeder Tempel habe seine eigene Methode!
Und kaum war ich mit den Verhandlungen über die Höhe meines Beitrags fertig, da wollte der auch noch - als Brahmane dieses Tempels! – ein Trinkgeld. Ach, und da drüben steht ja doch die Donation - Box! Da war der guide schon um die Ecke.
Und gleich um die Ecke das Mutterhaus der Mutter Theresa, vor der ein paar Elendsgestalten herumlungerten. Denn die christliche Charity wird erst wieder ab 15:00 Uhr verabfolgt.
Von außen ist das Gebäude nicht gerade eine Reklame für das Christentum. Ich würde mich da lieber an die Kali-Priester halten. Die geben mir wenigstens jeden Tag eine Mahlzeit.
Immerhin: das Leichentuch wird mir - wegen der Menschenwürde - dereinst der Verein von der Mutter Theresa spenden.

Habe dann auf der Flucht vor dem Lärm und der Hitze den stressfreien englischen Friedhof besucht.
Obelisken, Mausoleen und Pyramiden unter Palmen und Schlingpflanzen. Und darunter Elite-Bürokraten, hohe Militärs, eben der Prunk und Pomp der Power.
Dieser South Park Cemetery erzählt neben den üblichen Distinktionsgewinnen der sich an Imposanz überbietenden guten Gesellschaft auch manch trauriges Geschichtlein. So erfährt man von einer Rose Aylmer, dass sie aus dem Leben ausgeschieden wurde, weil sie ihrer Ananas-Sucht nicht widerstehen konnte, und ihre zarten Eingeweide ihr das übel nahmen.

Unweit davon wirbt die „Mother Theresa Church“ mit dem nicht ganz unbekannten Spruch:
Kommet alle zu mir, die ihr müde und geschlagen seid. Und ich gebe euch den Rest.“
Das ist zwar in der Sache wohl richtig, aber vermutlich doch eine weitere von den zahllosen Fehlübersetzungen, aus denen die Bibel besteht.

Donnerstag, 8. April 2010

Kalkutta, Darjeeling, Sikkim

März 2010

Manchmal wünschte ich, es gefiele mir in Deutschland besser, damit ich nicht soviel reisen müsste.

18. März 2010

Mein Freund,
wenn du mich jetzt durch Kalkutta begleitest, dann brauchst du keine Angst vor dieser Pestbeule der Städte zu haben.
Die Gesundheitsbehörde, die dich schon in der Immigrationshalle empfängt, versichert dir, dass das Ausfüllen eines Formulars mit deinen persönlichen Daten gut gegen die grassierende Schweinegrippe sei.
Das schafft Vertrauen.
Die hinter einer Sichtblende hervorlugenden Krankenbetten auch. Ganz wie zu Hause wird man auch hier fürsorglich von den Staatsorganen belagert.

- Wenn du Geld wechselst, zähle doch ungescheut nach, und lasse dir den versehentlich fehlenden Differenzbetrag aushändigen. Niemand wird beleidigt sein. Man erwartet das von dir.
- Wenn sich da drüben Menschenähnliches und Dohlenvögel auf dem Abfallhaufen raufen, dann geht es wie hierzulande doch auch bloß um den Anteil an Verwertbarem.
Der einzige Unterschied: hier in Täuschland geht es eleganter und geruchsfrei zu.
- Deine Angst vor der Tuberkulose ist ganz unbegründet. Die roten Auswürfe auf den Straßen stammen vom Kauen der Betelnüsse und dem davon herrührenden Rot des Sputums.
- Die Bündel Fetzen da auf dem Bürgersteig sind keine Leichen. Die gehören zu den 1,3 Millionen, die am Rande des Bürgersteigs ihren festen Wohnsitz haben. Das Transportgewerbe schläft übrigens auf der Ladefläche seiner Fahrrad-Rikschas oder seinen Karren.
- Nein, nein, die Verschleierung deines Blicks bedeutet nichts Böses. Es ist nur eine der zahlreichen Wolken aus dem Verbrennen von Plastikmüll, mit dem sich die an der frischen Luft Wohnenden Platz und Wärme verschaffen. Um diese brennenden Pollutionsherde würde ich aber doch einen größeren Bogen schlagen.
- „Don´t cross the road in the middle of the traffic.”
Also darauf würde ich schon hören.
Wenn es denn möglich wäre. Da Kalkutta aus einer einzigen Lawine von traffic besteht, wirst du täglich mehrfach Weltrekorde im Sprinten schlagen müssen. Oder besser, schmuggle dich im Schutze erfahrender Eingeborenen mäandernd durch die Blechlawine.
- Wenn dich das geradezu orgiastisch Aufbrandende von menschlichem Gewusel und der abwesende Blick der Vorübergleitenden ängstigt: das sind bloß die letzten Zuckungen einer Sterbenden, die sich ein weiteres Mal in die Welt wirft und erneut gebiert.

Morgens in Kalkutta.
Die von siegreich überstandenen Zweikämpfen gezeichneten Straßenbahnen ziehen gleichmütig ihre Bahn. Ihre rostzerfressenen Aufbauten hält der letzte Ölfarben-Anstrich zusammen.

Falls diese Menschen, die sich an den öffentlichen Wasserstellen rudelweise der morgendlichen Toilette widmen, irgendwelche Konzepte, Selbst- und Weltentwürfe wälzen sollten, wären sie mit dem erfolgreichen Überleben des heutigen Tages voll ausgelastet.

Solche Menschen haben genau so viele Götter, wie an Regungen durch sie zuckt: der Hinduismus kennt an die 330 000 davon. Das Überleben strukturiert diese Seelen genau so mühelos wie die Getriebenheit des westlichen Lebens den damit umgehenden Lebenskünstler, oder die Versuchungen der Spiritualität im Alter, you name it...

19. März
Mein Freund,
ich will dich nicht mit Dingen langweilen, die dir nun wirklich schnurz sein können. Aber über die gebuchte Sightseeingtour durch Kalkuttas Highlights gibt es doch das eine oder andere Interessante zu vermelden.
So sprach etwa der Guide an seinem Busmikrophon dauernd von einem „Golgatha“.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich herausfand, dass er Kalkutta meinte.
Aber er hat ja so was von recht: dies ist wirklich eine „Schädelstätte“, auf der sehr viel mehr als ein Christus und zwei Schächer gekreuzigt werden, und zwar täglich, spätestens seit den Tagen des Kolonialismus, als die Engländer hier herumregierten, damit Indien ein Selbstbedienungsladen ohne Kasse bleibe.

Nach der quälenden Durchquerung der Slums des Stadtteils Howrah der erste kulturelle Höhepunkt: die architektonische und auch sonst vergleichsweise paradiesische Anlage, von der aus die Ramakrishna - Bewegung ihren Ausgangspunkt nahm.
Hier ein link zu dem Stilsynkretismus des Tempels, in dem sich Elemente aller Weltreligionen wiederfinden. Vielleicht im Einschmelzen aller Differenzen allzu kitschig, aber ich war trotzdem dankbar, dass die Chemiefabriken auf der anderen Seite des Ganges-Armes Hooghly waren.

http://www.sriramakrishna.org/belurmath.php

- Ramakrishna war übrigens ein Priester des Kalitempels auf der anderen Seite des Flussarms

http://en.wikipedia.org/wiki/File:Kolkatatemple.jpg

-In St. Pauls finde ich die - mich damals schon geärgert habende -
Coventry Litany of Reconciliation
wieder, die an Versöhnungsplätzen wie diesen jeden Freitag gebetet wird.
Hier der wenig erfreuliche Text der nutzlosen Selbstbezichtigung von Leuten, die das wirklich ernst meinen:
The hatred which divides nation from nation, race from race, class from class,
Father forgive.
The covetous desires of men and nations to possess what is not their own,
Father forgive.
The greed which exploits the labors of men, and lays waste the earth,
Father forgive.
Our envy of the welfare and happiness of others,
Father forgive.
Our indifference to the plight of the homeless and the refugee,
Father forgive.
The lust which uses for ignoble ends the bodies of men and women,
Father forgive.
The pride which leads us to trust in ourselves, and not in God,
Father forgive.

Das heißt ja wohl: die wollen genau so weitermachen.

Diese Herangehensweise an die aufgezählten, und vom Dogma der Sündernatur bis zur Unkenntlichkeit verunstalteten Probleme der nicht ernst genommenen Klassengesellschaft garantiert mit Sicherheit eines: bis ans Ende aller Freitage wird das inbrünstig von dergleichen Selbst - Bespeiern genüsslich zu beten sein.

Der christliche Idealismus führt hier schön seine Scheuklappen vor, die nun wirklich nur Pferden wirklich gut bekommen.
Ansonsten trennt ja wohl nicht der Hass die Nationen, Klassen und Rassen, sondern die nützliche Erfindung unserer Herren, uns in Klassen, Rassen und Nationen auseinander zu dividieren, um uns gegeneinander aufhetzen zu können, schafft den funktionalen Hass für Kriege und Rechtfertigungsideologien. Divide et impera! (Teile und herrsche) zählt schliesslich zur Basisausrüstung jeglichen Hherrschaftswissens.
Der Gipfel der Verbohrtheit ist - nach der Erklärung aller Misshelligkeiten dieser Welt aus der Schwäche der Sünderlein, die wir allzumal seien, - die Unverschämtheit, dass jeder, der sich in der Welt auskennt, ein vom Hochmut Geschwollener sein solle, den schon sein Desinteresse an Gott richte.

Als sehr lehrreich empfand ich auch den Besuch des Queen Victoria Memorials, eines imperialistischen Prunk- und Prachtbaus, der das Selbstbewusstsein des Kolonialismus sehr gut wiedergibt.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/73/Victoria_Memorial_Kolkata_panorama.jpg

Diese Mischung aus allerlei imperialen Gesten, deren Obszönität durch die Linienführung eines Zuckerbäckers gesoftet wird, enthält unter anderem Skulpturenmaterial, das Bände spricht:
- Robert Clive, Begründer der britischen Kolonialmacht in Indien schreitet mit dicken Beinen und wegweisender Geste in die Geschichtsbücher, deren toxische Inhalte noch heute zum Lehrstoff der höheren Schulen gehören. Merke: an den höheren der Schulen lernt man das Höhere. Und das ist immer ein ideelles Unterwerfungsverhältnis. Und sonst nichts Gescheites.

Ein einziger Major James Rennell wird vom Bildhauer mit gesenktem Kopf und herabfallenden Mundwinkeln erfasst: wenigstens einer, der bedauert, was er sein Leben lang im Dienst am Höheren verbrochen hat.
Gleich daneben eine spitznäsige Kampfhenne: eine Queen Alexandra, die uns – Gott sei Dank- schon 1925 von sich selbst erlöst hat.
Das Pack der willfährigen Nutznießer des Imperialismus ist typologisch gebündelt in einem Ölgemälde der Lady Hastings. Der Maler hat zu Recht die Kostbarkeit der luxuriösen Gardarobe dieses Symbols hirnloser Dienstmädchensehnsüchte hervorgehoben.

Nicht zu vergessen als Nutznießer die „Babu – Culture“!
Jene Schicht der vom Imperialismus geschaffenen „new rich“, die Schicht der intermediaries, der compradores, der Zwischenträger, auf welche die bis auf den heutigen Tag verblödeten, aber zahlungskräftigen Herren angewiesen waren und sind, wenn sie denn mit den Leuten überhaupt ins Geschäft kommen wollten, unterscheidet sich in ihrer grenzenlosen Geschmacklosigkeit nicht von der ihrer kolonialen Herren: der Affe weiß es schließlich nicht besser, sondern genau so gut.

Dieser Tag hat mir richtig gut getan.
Die Denklmäler, die sich die Herren dieser Welt errichten, sind lauter Denk- und Schandzettel, die sie sich auch noch eigenhändig um den Hals gehängt haben.

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