Barock: ...Schmerz und Wonne überall..
Romantik:.. wo Licht und Schatten sich begatten...
Das Dogma einer Widersetzlichkeit der Kunstsphäre gegen das Entsetzliche geht immer dann in den Kanon nationalkulturellen Selbstverständnisses ein, wenn sie sich ausweist als eine Instanz, die auf „höherer Ebene“ Zustimmungsfähigkeit suggeriert und Einverständnis erzeugt.
Konversation
Die leicht zu machende Beobachtung einer grassierenden, einverständig sprachlosen Unmündigkeit basiert auf der einfachen Überlegung der Leute, dass eine wechselseitige Bestätigung dessen, was in ihren Zeitungen eh schon steht, müßiger Zeitvertreib von Stammtischrunden ist.
Einander dialogisierend auf Welterschließung verpflichten zu wollen, führt nämlich nur zu Zank und Streit, die dann noch nicht einmal zu praktischen Konsequenzen führen, weil die das nicht dürfen.
So entsteht ganz konsequent die Konversation als eloquentes Sich – An- und Ausschweigen.
Die Horizonte der weichen, langen Linien
Mittwoch, 8. Juli 2009-
Motto:
Auf der Walz lernt man nur dann was (dazu), wenn man eh schon was drauf hat.
Wieder mal in Oslo.
Nicht wiederzuerkennen. Dabei war das doch erst im letzten Jahrhundert, dass ich mich hier wohl gefühlt habe.
Es empfängt einen ein fuchsbauartiger Gebäudekomplex aus den mehrstöckigen Passagen des Busterminals, verbunden durch einen flyover mit dem Bahnhofskomplex, der in ein amphi- theatralisch angelegtes fünfstöckiges Shopping-Center übergeht...
und ich müsste unbedingt mal Müssen.
Nicht ein einziger Hinweis auf dem ganzen mehrstöckigen Bahnhofsareal auf diese Unvermeidlichkeit unserer tierischen Abkunft.
Schämen die sich etwa ?
Vermutlich ja, aber nicht ihrer Kreatürlichkeit, sondern der Tatsache, dass die Gegenleistung fürs Nicht - in - die - immerzu - zu - gut ausgeleuchteten – Ecken- Pinkeln € 1,11 kostet.
Werde diesen Skandal in dem noch zu schreibenden „Loo - und Do -Führer für Europäer“ entsprechend würdigen.
Werde dort den guten Rat dem Gedächtnis der Generationen anvertrauen, immer einen Kumpel mit durch das Drehkreuz zu schleusen.
Dann kostet es nur noch die Hälfte.
Ein architektonischer Wurf allerdings die Neue Oper gleich daneben.
Die Dachkonstruktion besteht aus sich gegenseitig im optischen Gleichgewicht haltenden Dreiecken, die man im Winter gut als Idiotenhügel für die nachwachsende Skifahrergeneration verwenden könnte. Sommers steigt man die flachen Dachhänge an und hat eine erhebende Sicht auf alles, was darunter liegt.
Es stimmt ja gar nicht wirklich, dass die Schönheit aus unserem Leben gewichen ist. Mit dem Geld aus dem Nordseeöl und ein paar sich austobenden Architekten kann man ganz neue Stadtteile in die Buchten hinausschieben. Tjuvholmen ist so ein ganz neuer Bezirk, den man leichten Schrittes und mit steigendem Entzücken erkundet. Die Verbindung der alten Ziegelarchitektur mit den neuen Materialien Stahl und Glas lässt früher unmögliche Freiheiten zu. Wie im Riverbank - Viertel von Melbourn macht es einem mal ausnahmsweise wieder Spaß, ein Mensch zu sein.
Vor dem Rathaus dann mehrere kolossale nackerte Weibstücker aus Granit.
Von Aker Brygge kommend hat es mir gleich die erste links angetan.
Der hätte man gerne die Bambsen gemacht, die zwischen ihren Füßen spielen.
Aber nur solange bis man ihr ins Gesicht schaut, das sich eindeutig angeödet fragt, was denn nun dieser ganze Scheiß eigentlich solle?
Nicht weit davon auf hohem Sockel und neben einem Mörser ein martialischer Herr in Bronze und Stulpenstiefeln namens Tordenskiold, der das genau zu wissen scheint: auf ins nächste Gemetzel, und sei es bloß ein staatlich lizenziertes Kaperunternehmen.
Piraterie war damals nämlich noch ein nationalstaatlich angeleitetes, hoch angesehenes Geschäft, dessen unmittelbarer Nutzen der Schädigung eines anderen Nationalstaats entsprang.
Irgendwie scheint mir eine gewisse Symbolik darin zu stecken, dass dieser Vizeadmiral Tordenskiold, der es immerhin ins Volkslied, in die Nationalhymne und auf Streichholzschachteln gebracht hat, auf die jenseitige Westseite des Platzes blickt, wo die Nobelpreis-Gesellschaft den nächsten Träger des Dynamit-Preises auskungelt.
Die Osloer Stadtväter haben es irgendwie mit den umfassenden Perspektiven.
Donnerstag, 9. Juli
Mit dem Bus das liebliche Gulbrandstal hinauf nach Ringebu, von dort zum Start der Wanderung nach Straumbu.
Also das mit den Naturerlebnissen hat was.
Und wenn es schon nichts anderes wäre, als den Peinlichkeiten der Großstadt entronnen zu sein. Ich persönlich hasse es, wenn in den unaufhörlichen Glasfenstern andauernd ein hässlicher alter Mann mit nur noch ganz wenigen Haaren neben mir herläuft, dessen eindeutige Verwandtschaft mit mir ich einfach nicht leugnen kann.
Man schaut sich da also immer mit den Augen der anderen an, und die finden selten was Gutes an allem, was sie nicht sind.
Hier draußen in den Birkenwäldchen läuft keiner neben dir her, der dich an dein so weit verfehltes Ideal erinnern könnte. Dankbarkeit befällt einen.
Und bildet sich ein, dass man ja immerhin mit ein paar inneren Schönheiten aufwarten könnte.
Hier wäre eine davon:
Die Alten sagten: „Hast du zwei Brote, so verkaufe das eine und kaufe dir ein Buch.“
Dies sagten sie zu Recht.
Ich aber sage Euch:“ Hast du zwei Wohnungen, so verkaufe die eine und gehe auf Reisen wohnen.“
Nächtigung nach einem zweistündigen Spaziergang in der DNT - Hütte Björnhollia.
Freitag, 10 Juli
Durchs Illmannsdalen in vier Stunden zur Hütte Rondvassbu.
Der Wind wirft einem mal eine Handvoll Regen ins Gesicht, mal nicht. Kann mich nicht um jede Kleinigkeit kümmern.
Wichtiger ist, sich , wenn schon, dann elegant beim Stolpern auf dem steinigen Weg hinlegen.
Dass das da ringsum Berge sind, sieht man überhaupt nur daran, dass sie von der Wolkendecke geköpft sind.
Und dann geht es los mit den verschiedenen Intensitätsgraden von fallenden Wassern. Vom eindringlichen Niesel über Sprühregen zu den herabstürzenden Wäscheleinen.
Diesmal war ich nicht bloß gebadet. Kurz vor dem Ertrinken aus dem Wasser gezogen, trifft es eher.
Die in ihre Bestandteile sich auflösende Landkarte wird im Trockenraum ausgelegt.
Samstag, 11. Juli
Weil nach wie vor Regen angesagt ist, entscheide ich mich gegen die Wanderung über den Rondhalsen.
Stattdessen lasse ich mich mit dem Boot über den See nach Norden schippern, um dann in drei Stunden zur (Sennerei) Dörolseter zu wandern.
Die verschiedenen Formen fallenden Wassers weisen auch ein paar nützliche auf: es gibt kein Wasserproblem. Wo immer es auf und aus der Erde rauscht, da halte ruhig deine Flasche hin und fülle sie.
Von den Mücken hat sich keine aus dem Schutz des Grases und der Flechten und Kräuter in die gut sichtbare, vom Wind strukturierte Luft getraut. Und so blieb das wegen feuchter Kühle auch bis ans andere Ende der Tour.
Am sonnigen Nachmittag begreife ich, was mich ergreift: der vor mir herwandernde Horizont aus der sanften, langen Linie, die- legato- in eine andere übergeht, unaufhörlich um mich kreisend wie ein angenehm Unaufhörliches.
Largos kennen keine spektakulär abrupten Übergänge.
DAS SINGT JA!
Geneigter Leser, du legst jetzt gleich die Morgenstimmung von Griegs Peer Gynt Suite auf, dann weißt du, was ich meine.
Vielleicht macht aber auch bloß das Überangebot an Sauerstoff mich besoffen.
Ich tänzele erstmals weglos durch die weiche Heide aus Moosen, Flechten und Krüppelwuchs. Nach dem Abendessen!
Das hat nicht nur meinen Fußgelenken gut getan.
Du merkst schon, ich schreibe nicht auf, was ich sehe, sondern was ich gesehen habe.
Sonntag, 12. Juli
Durch die wildromantische Schlucht Dörolglupen zur Grimsdalshytta.
Eine Stunde reines Blockwerk aus einem jahrhundertealten Bergsturz, dessen zackig zerrissene Wandschichten das Felsenmeer rechts begleiten.
Die andere Seite dieses von den Eiszeitgletschern rundgehobelten Gebirges.
Im nordseitigen Abstieg liegen noch Schneezungen, die aus meinen langen Beinen Zauberwaffen machen. Ich bin schneller als alle einschlägigen Fahrtenberichte.
Dabei hätte es gar nicht geeilt. Um die Zeit der Mittsommernacht gibt es auch hier in Mittelnorwegen selbst um Mitternacht noch genug dämmriges Tageslicht für die Wegfindung.
Man kann hier gar nicht so viel laufen wie es lang hell ist.
Nur die Farben sind halt weg.
Montag, 13. Juli
Über Hageseter nach Hjekinn.
Ach ja die Farben!
Aus verhangenem Himmel spitzt taschentuchgroßes Blau hervor, entwickelt sich zu Handtuchgröße, und plötzlich ist da ein ganzer Fußballplatz aus Blaaauuuu.
Dann wird es schon auch mal rußschwarz schlierig da oben, richtig dräuend.
Und da drüben bringt das Gelbgrün der Flechten bei schrägem Sonneneinfall einen mädchenhaft geformten Berg zum Gleißen.
Von den zahllosen Grüns der Moose und Salweiden ganz zu schweigen.
Wandern ist Bilderbuchlesen.
Auf dem Plateau sieht man schon jenseits der E 6 das noch stärker verschneite Dovre-Fjell, das irgendwann demnächst mal dran ist.
Nächtigte auf dem Rückweg nach Oslo in Lillehammer im dortigen Youth Hostel.
Meine Mittel sind nämlich nicht unbegrenzt, und Oslo ist die teuerste Stadt der Welt.
Dienstag, 14. Juli
Stromern durch Oslo.
Ein Ambiente, wie geschaffen für schräge Typen .
Da zieht eine dickliche Verkommenheit mit einem kleinen schwarzen Schwein und drei Hunden an der Leine durch die Gegend. Auf ihrer Mütze schaukelt ein grüner Papagei.
Musik der populären Sorte von Hörweite zu Hörweite auf der Karl Johans Gate.
Einer hat am Eingang der Fußgängerzone hingesprayt: Zone der Stummheit.
Dabei werden die T-shirts geradezu beredt: „Get Rich Or Die Trying.“
Oder war es genau das, was er gemeint hat?
In der Volkstheaterpassage balanciert auf knochigem Hintern eine überlebensgroße Kate Moss, die Beine hinter ihrem Kopf verschränkt. Der Blick des Betrachters fällt auf ihr Geschlecht: so unattraktiv wie dieser ganze verhungerte Kleiderbügel.
Am Schloss ist Männerballett, und die Statue einer hochgeschlossene Königin Maud unterscheidet sich nur für den Königstreuen von der Abgestorbenheit exerzierender Marionetten.
Du siehst, es ist alles da. Sinn und Sinnlichkeit, Wert und Tinnef, halt Leben. Und wenn man einen ideellen Fluchtpunkt für diese Stadt sucht, so ist es wohl die Stein gewordene Lebensphilosophie von aufstampfenden Trotzköpfen.
Das pocht spätestens seit Edvard Munch auf die Eindringlichkeit des Existenziellen.
Und der Bildhauer-Titan Gustav Vigeland macht es mit seinem gewaltigen Skulpturenpark auch nicht darunter.
Die Auflehnung, die in dieser Ablösungsphase aus den religiösen Bindungen steckt, ist unterm Diktat der Formschönheit schon faszinierend. Aber gedanklich ist es ein bisschen dürr, auf der vielfältigen Unsicherheit des Lebens herumzureiten.
Dieses Konzept der Unsicherheit hat einer erfunden, der sich von den ihn nicht interessierenden, garantierten Sicherheiten abgestoßen fühlt. Wie aller Idealismus drückt er sich via negationis aus: Kein Heil mehr, sobald der Biss des schuppigen Ungeheuers Liebe das Lebensrad in Bewegung setzt.
Was daran aufhebenswert bleibt, ist der von der Lebensphilosophie endgültig verschlossene Weg zurück zu den anti-materialistischen Märchen. Leben und Tod sind ihr Phasen eines ewigen Stoffwechsels.
Beschwingt gehe ich wildgewordener Molekülhaufen meinem einstigen Metabolismus entgegen.
Ist es nicht so? Wo das Florett der Glosse hinsticht, da blutet eine sehr dekorative Wunde.
Oder sind Glossen nicht vielleicht doch bloß die hingeschlenkerten Randbemerkungen eines aggressiven Penners?
Auffällig: sie sind viel zu undifferenziert, um nicht die schiere Wahrheit zu sein.
Seine pfiffige neue Sprachregelung für eine lebenslängliche Verwahrung von keiner Schuld Überwiesenen, ja noch nicht einmal irgend eines Verbrechens Angeklagter, sieht den Euphemismus einer „prolonged detention“ vor.
Die Reichen verschanzen sich hinter ihren wachsenden Bollwerken.
Dummerweise ist alle Welt davon überzeugt worden, dass die Armen an all dem Schuld sind, für die man ja schließlich sorgen muss.
Guter Rat
Wenn euch die zunehmenden Obdachlosen ein Gräuel sind, dann kriminalisiert sie doch einfach.
Dann haben die ganz schnell ein Dach über dem Kopf.
In der Frage, bei welchem Haufen man denn nun mitmachen solle, entscheide man sich nicht für die Linke oder die Rechte, sondern lieber gleich für das Richtige.
Avantgarde der Werbung erschließt sich neue Front:
Epitaph
Unter diesem Grabstein ruht
NIEMAND.
Seine Eltern bevorzugten
Die weithin bekannten Präservative
Der Firma Amor.
Die humanitären Gefühle
Was die so sehr proklamierten sozial-humanitären Gefühle betrifft, so sind die allesamt sehr relativ, zumindest ihrer äußeren, fassbaren Erscheinungsweise nach.
Wenn wir uns auf der Straße befinden und die Feuerwehr vorüber tatüütataaten sehen, genügt es, dass sie nicht in Richtung unseres Hauses unterwegs ist, damit das Sentiment, das uns ergreift, sich auf eine milde Neugierde beschränkt.
Da macht sich die alternative Meinungsstärke lustig über die Angeblichkeit des Fortschritts!
Dabei ist der bloß schon so weit fortgeschritten, dass er bereits von jenseits ihres Horizonts aus deren karnevalistische Fröhlichkeit inszenieren lässt.
Elite
Entgegen allen aufkommenden Zweifeln sind die Auserlesenen wirklich die Besten.
Es waren halt gerade keine anderen da.
Meine Mutter kann die Satiriker nicht leiden. Die machen alles schlecht.
Wenn du also wissen willst, mit wem du es in deinem Viertel zu tun hast, schau im Zeitschriftenständer des nächstgelegenen Supermarkts nach, ob die Sicht unserer Mütter den Filialleiter überzeugt hat.
Bei Interesse kann man den Faschisierungsgrad an einfachen Indikatoren ablesen: spielen das Spottgedicht und der Aufschrei, der Threnos und die Elegie überhaupt noch eine Rolle neben den wohlfeilen Witzen über den selben Gegenstand?
Oder werden nur noch Epinikien und Hymnen psalmodiert?
Wenn Thersites wegen mangelnder Popularität einen niedrigen Akzeptanzgrad aufweist , steht ein weiteres Karthago zur Vernichtung an.
Ach, das haben Sie doch schon gelesen?
Man kann das gar nicht oft genug ...
Auch Erfolg wird bestraft.
Die Strafe liegt darin, dass man mit Leuten zusammenkommt, die man früher meiden durfte.
- John Updike -
Ein langer Weg vom „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut“ zum „Eigentum verpflichtet“.
Also genau so weit wie vom Verbot zum Sonderangebot.
Was ist das?
stellt der Kritiker seine Frage an jedwedes Objekt.
Und hält so das Eine vom Anderen.
Der Kritiker des Kritikers hat es da leichter, weil er uns alle im selben Boot sehen will, und sich gegen die ungehörige Trennung der Ruderer von den Geruderten aus Gründen der Sicht aufs Große Ganze verwahren muss.
Und bei diesem Geschäft nimmt er sich ausgerechnet dann für voll, wenn er die Ungehörigkeit des Was-ist-das? durch eine eitle Selbstinszenierung ersetzt: „ Wie war ich?“
Angesichts tiefgläubiger Kapitalisten und leichtgläubiger Atheisten beschleicht uns die Ahnung, dass Einschätzen und Vermuten Schwundstufen der einstigen Schau auf Leber und Kaffeesatz sind.
Wohingegen ein Analytiker wie Marx eine unleugbare Stärke in seinem Verlass auf die Logik hat, welche unleugbare Schwäche ihm denn auch zu recht den Hals bricht.
Der rebellische Prometheus ist so wahr wie die Hingabe des Ganymed.
Aber erst der gelungene Nachweis des confidente, des Spitzels, des BND-Beamten ... im mythischen Kosmos, würde mich vom Jetzt als einem Eh und Je des Immerdar überzeugen.