Sonntag, 21. November 2010

Vorsicht Literatur!

Marnix Gijsen: Lydias Monolog

«Die Leute sagen, dass ich trinke. Nein, sie sagen, dass ich ein reiches altes Weib bin, das trinkt. Wenn sie das dann gesagt haben, fühlen sie sich prima, denn sie sind keine alten Weiber und sie trinken nicht, denn man darf kein altes Weib sein und man darf nicht trinken.
Das haben die so ausgemacht, und so muss es sein, aber so ganz stimmt das auch nicht. Das einzige, was man sehr wohl sein darf, ist reich sein. Da gibt’ s überhaupt kein Vertun. Mein Vater hat es nie geheimgehalten, dass er finanzstark war, und mein Ex-Gatte hat mich auch nicht gerade mittellos zurückgelassen. Vor so was haben die Respekt. Ich brauche die bloß mal auf einen Sonntagnachmittag an den Swimming-pool einzuladen, dann eilt das nur so herbei zu dem alten Weib, das trinkt. Mit vollen Wagen kommen die an, und da purzeln wahre Ketten von Kindern heraus, die Verwüstungen in Haus und Garten anrichten.

Kann ruhig jeder merken, dass ich Geld habe, und dass ich es nicht leichtsinnig ausgebe, außer für den Stoff, aber das fällt nicht ins Gewicht.
Ein anderes reiches Weib hier in der Nachbarschaft, meine sozusagen Freundin Martha, die trinkt sozusagen nicht. Die hat eine Schwäche für ganz junge Männer mit viel Haar, die `Kompositionen` anfertigen. Die Feder muss erst noch geschnitten werden, die das beschreiben könnte: Alteisen, Konservendosen, altertümliche Telefone, ganz zu schweigen von zerquetschten Schreibmaschinen, usw. Sie gibt für so was schweres Geld aus, und ihr Garten steht voll damit. Man betrachtet sie als einen weiblichen Mäzen. Was sie mit den ungewaschenen Pudeln privat anstellt, geht mich nichts an, aber ich weiß, dass sie ebenfalls trinkt. Sie macht das heimlich, wenn sie allein ist. Sie hat nicht den Mut, sich dazu zu bekennen, wie ich. Wenn sie mich fragen, Martha ist eine heuchlerische Hündin, und das zumindest bin ich nicht.

Da wir gerade beim Geld sind, das ist das einzige, wofür man mich respektiert. Das liegt fest, in dem Punkt habe ich nichts zu befürchten. Da hat Pappi Vorsorge getroffen, und selbst das Aas von meinem Ex-Mann kann da nichts dran tippen. Der Aderlass, den ich ihm bei unserer Scheidung verordnet habe, hat ihn Mores gelehrt. Ich bin vermutlich die einzige in der ganzen Umgebung, die nie nach den Börsenberichten in der Zeitung schaut. Wenn eine Frau das tut, dann beißt sie sich auf die Oberlippe und auf ihrer Stirn zeigen sich Runzeln, sogar bei den jüngsten; ein schauderhafter Anblick. Ich bin schon immer der Ansicht gewesen, dass der Mann das Geld verdienen sollte, und dass es die Frau ist, die es – mit Verstand natürlich – ausgibt, so dass der Mann mitkriegt, dass er gute Ware für sein Geld bekommt. Geld werde ich immer haben, es sei denn es geschieht etwas Ungeheuerliches, ein Erdbeben, eine Sündflut oder die Russen kommen, kurz, das, was man einen „act of God“ nennt.
Haben Sie eigentlich schon bemerkt, dass die Taten des Herrn immer wenig Gemütliches haben, sobald man sie nicht mehr als Naturphänomene bespricht? Ach, die Leute sind ja noch so einfältig, dass sie wie die reinsten Buschneger jedes Phänomen einer Gottheit zuschreiben. Was mich anbelangt – und ich weiß, dass das mein Ansehen nicht gerade hebt - , so habe ich mich schon vor vielen Jahren von dem ganzen Rummel um Glauben und Unglauben emanzipiert. Aber in meiner Jugend war man darauf aus, mich mit Erzählungen von christlichen Märtyrern zu erschüttern. Da schon. Ich respektiere einen, der durch dick und dünn bei seiner Idee bleibt, und sei sie noch so verkehrt, aber die Buddhisten, die sich selbst in Brand stecken – wie ging doch noch gleich der makabre Scherz wieder: Normal oder Super? - , das sind doch noch schrillere Typen. Sie können es ruhig zugeben, dass ich das Recht darauf habe zu sagen, dass ich da keinen Sinn drin sehen kann, und dass ich höflich bleibe und über Religion nichts hören will. Kommt der Pastor vorbei, dann kriegt er was; kommt der Pfarrer, kriegt der das selbe. Aber bloß keine Predigten! Bei mir ist das vergebliche Liebesmüh. Dem Rabbiner, der hier nie klingeln kommt, schicke ich freiwillig was, denn ich bin auf der Seite der Unterdrückten.

Heute bin ich erst bei meinem sechsten Glas... mein volles Maß ist zwanzig. Nach dem fünften werde ich – wie Sie ja wohl merken – beredt, offenherzig, tiefsinnig. Aber am späteren Abend bin ich nicht mehr so logisch, das weiß ich wohl. Dann komme ich vom Hölzchen aufs Stöckchen, d. h. ich lasse die Überleitungen weg und schon denkt man, ich rede irre. Da werde ich aber ungnädig und sage herbe Sachen, vor allem dem Jungvolk.

Also: ein ´altes Weib´ bin ich. Das ist ein Schimpfwort, das ich mir ab und zu anhören muss, und als einzige Verteidigung kann ich den Jüngeren nur entgegenhalten: Ihr seid ja noch nicht trocken hinter den Ohren, ihr Piepküken."

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