Freitag, 26. November 2010

Im Zeichenlosen

Der Sinn des Reisens besteht darin, unsere Phantasien durch die Wirklichkeit zu korrigieren.
Statt uns die Welt vorzustellen, wie sie sein könnte, sehen wir sie wie sie ist.
Samuel Johnson (1696 - 1772)


Am Weg durch den ehemaligen Todesstreifen, die Grenze zwischen dem von den Tamil Tigers kontrollierten Gebiet und dem unangefochten singhalesischen Staatsgebiet, ein kleiner Tabakbauer und seine Familie.

Bevor wir auf sein Haus stoßen entsetzt der Zustand der bereits aufgeschossenen Tabakpflanzen, die von den marodierenden Schneckenarmeen in einem erbärmlichen Zustand hinterlassen wurden. Schlimmer zerfressen als meine Lungen. Meine Chancen stehen jedenfalls besser als die der fast kahlen Stengel mit ihrer perforierten Restbelaubung. Angefressen wir beide durch das Leben, mit dem wir verbandelt sind, und uns dennoch gegen unsere sichere Vernichtung auflehnen.

Mittägliche 40 Grad Celsius.

Unsere Schritte schlauchen uns, spülen die Mineralien aus uns raus, ausgewrungen welken wir der Farmerfamilie entgegen.

Hier gibt es kein Alibi mehr, für niemanden, dieses Zusammengeschmolzene sind wir, bist du. Jede Verwünschung, die uns zuhause so leicht von den Lippen geht, ist eine lächerliche Prätention von aparter Individualität mitten in niederdrückendster Armut und unvorstellbarer prügelnder Hitze.

Ja, sie sei - wie so viele andere - Gastarbeiterin in Saudi-Arabien gewesen, sagt die Bäuerin. 6 Jahre lang. Dann habe sie es bei den arbeitgebernden Scheichs nicht mehr ausgehalten. 14 Kinder habe sie zu hüten gehabt. Sieben Tage in der Woche. Und kein Wort Arabisch.
Wenn etwas daneben ging, bekam sie Hiebe mit dem Stock. Da hätte sie aber noch Glück gehabt. Andere seien noch ganz anders gequält und gefoltert worden.

Ich wollte, mein Kopfschmerz käme nicht ausgerechnet von so etwas Profanem wie meiner Nebenhöhlenentzündung, die ich mir auf der Elefantensafari im Nieselregen zugezogen habe.

Absolute seelische Flaute. Noch der vorsichtigste Vagabund ist nicht gefeit gegen jene Windstillen, wo das träge Flappen der Segel dich dem gleißenden Wahnsinn ausliefert, du seiest dennoch etwas anderes , als der dreckige Schaum, den die erfolgreicheren Imperien gleichmütig ans Land aller Meere spülen.

DIE SCHLIMMSTE NIEDERLAGE BEI ALLEM IST
ZU VERGESSEN UND VOR ALLEM,
WORAN WIR VERRECKT SIND. (Louis Ferdinand Céline)

Back to the basics.

Nationalisten unter sich
In einer TV-Diskussionssendung des Nachrichtensenders "N24" sagte Sarrazin seinerzeit auf die Frage, ob eine Anhebung des ALG II Regelsatzes die Konjunktur ankurbeln würde: "Das ist kein Konjunkturprogramm. Wofür geben die das Geld aus? Für Flachbildschirme, Videorekorder, MP3-Player. Es geht alles nach Fernost. Es geht alles nach Südchina. Und nichts bleibt hier.“

Der gegen-hartz.de-blog beschwerte sich über diese neuerliche Pöbelei: „Der Tritt nach unten war schon immer leichter, als der Tritt nach oben“.

Mal angenommen, ein solch wünschenswerter Tritt ließe sich tatsächlich ins Werk setzen, dieser Arsch ist doch ausdermaßen gigantisch, der würde die Attacke überhaupt nicht wahrnehmen.

Und jetzt im Ernst, und zur Erklärung, warum ich damit ausgerechnet jetzt schon wieder ankomme.
Es ist das gewissermaßen Zeitlose, das daran interessiert:
Wenn nämlich erfolgreiche Nationalisten wegen ihres schlechten Benehmens gegenüber erfolglosen Nationalisten von gesitteten Nationalisten gerügt werden, halte ich das für ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Gell, Herr Schmidt.

Tamilen“dorf“

Auf dem Weg zu den Horton Plains, kurz unterhalb des Plateaus, steigen wir aus zu einem Streifzug durch die Teeplantagenzone, die unmittelbar entweder an ungerodeten Dschungel oder an savannenartige Eukalyptusbaumstreifen grenzt.

Fünf, sechs aus zusammengeklaubtem Material erstellte Hütten. Die Dächer bestehen aus verbeulten Wellblechteilen, die vom Gewicht schwerer Felsbrocken an Ort und Stelle gehalten werden.

Die Bewohner kennen außer dem freien Blick auf ihr Elend und über die endlosen Teeplantagen nichts.
Zum nächsten Bahnhof sind es zwei Stunden Fußmarsch.
Kein Wunder, dass die uns mit räudigen Hunden entgegeneilende, ungezogene Kinderschar- alle im schulpflichtigen Alter - hier am helllichten Vormittag herumhängt, anstatt etwas zu lernen, womit sie doch nichts anfangen oder beendigen könnten.

Von hier gibt es kein Entrinnen.
Hier wird man geboren, arbeitet für die Estates der Company, und hier stirbt man seiner Einäscherung entgegen.

Die Vorfahren dieser Tamilen waren von den englischen Kolonialherren mit gleisnerischen Versprechen hierher in ein Arbeitsverhältnis gelockt worden, dessen freies Aufgeben sich nur einem wild zum Hungertod Entschlossenen empfiehlt.
Die paar Rupien fürs Teepflücken – wenn der Plantageneigner saisonal mal wieder in die Hände klatscht - und für das Zurückschneiden der Teebäume, oder die Arbeit in der Teefabrik gehen regelmäßig für die Ernährung und die anderen Grundbedürfnisse drauf, die man in den Läden des Plantageneigners zu decken gezwungen ist. Trucksystem darf man das nicht nennen, weil die tugendsame Dame namens Definition das mal wieder in aller Keuschheit verbietet. Aber es läuft genau darauf hinaus.

Höre ich da wen ganz Gescheiten auf die berauschenden Möglichkeiten des Kreditsystems hinweisen? Also eines Systems, das die Ansprüche deines Eigners an dich noch höher und enger schraubt?

Von hier gibt es kein Entrinnen.
Hier wird man geboren, arbeitet für die Estates der Company, und hier stirbt man seiner Einäscherung an Ort und Stelle entgegen.

Das Kauen der Beteldroge gegen den Hunger, und um überhaupt die Eintönigkeit des Raufens aushalten zu können, führt zu entsetzlich schadhaften Gebissen. Nur gut, dass man den täglichen Reis mit Linsen und Curry auch durch bloße Verspeichelung und Zungendruck runter kriegt.

Tja, Sozialisten und Soul Sisters aller Länder,

LOVE AND PEACE,
gelle?

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