Montag, 12. April 2010

Kalkutta, Darjeeling, Sikkim III

29. März
Wenn des Menschen Wille sein Himmelreich ist, dann ist die Verhinderung jedes Erfolgs einer Willensregung die Hölle.
Wir sprechen hier über Darjeeling.
- Du willst an der Toy-Train-Station den Nachtzug nach Kalkutta buchen. Da darf nix schief gehen. Tagelang vorher ist schon ausgebucht.
Und nu? Kein Diensteistender weit und breit.
Nach einer ¾ Stunde gibst du das Schlangestehen auf. Vermutlich ist wieder mal der „server down“.
- Also jetzt an die mail - Schreiberei!
Aber das komplette internet ist in Darjeeling ausgefallen.
- Du willst bummeln, und ein ernsthafter Regen – nicht so ein Larifari, das dich zwar auch durchnässt, aber mehr hinterrücks und nach und nach - hält kräftig dagegen.
- Also mit dem wehen Kopf (Erkältung) ein bissl am Buddhismus rumdenkeln.
- Es steht ja ganz außer Zweifel, dass „Leidenschaften, Abneigungen und Verwirrungen“ zentrale Ärgernisse im menschlichen Miteinander darstellen. Mich freut so ein immer mal wieder auftauchender Realismus in den großen Religionen.
-
Jetzt kommt es aber sehr darauf an, wie es weitergeht.

Wenn einer eine „Abneigung“ gegen Feuerbrände wegen Blitzeinschlags hat, tut er gut daran genau hinzuschauen und dem Ding eine theoretische Fassung zu geben. Und wenn die das Gesetz erfasst, kommt der Blitzableiter zu Stande.
Aus den Abneigungen gegen die Kälte, den Zahnschmerz und die Finsternis sind viele leidensmindernde Dinge hervorgegangen, auf die eine tat – twam - asi - Haltung nie gekommen wäre.

Die Religionen sind sich in ihrem Befund über unsere beklagenswerte Lage einig und ziehen daraus den Schluss, dass man dann eben in entlegene Sinnprovinzen emigrieren müsse. Eins soll überhaupt nicht gehen: die wissenschaftliche Alternative, mit den Verwirrungen aufzuräumen.

Die Gesetze des Zusammenlebens zu begreifen geht aber nur dann nicht, wenn man Gesellschaftswissenschaften (Soziologie, Wirtschaftreligion ... usw) studiert, an Stelle dessen, was die Leute wirklich tun. Ihr Rumgemurkse ernst genommen, erweisen sich ihre Leidenschaften als eben so große Motoren wie ihre Abneigungen und Verwirrungen, die nach einer Phase der Skepsis zur Entwirrung im Wissen führen.
Bloß weil wir nicht alles wissen, berechtigt das nicht zur Häme über die Nicht-Befassungswürdigkeit mit den Leiden der Verwirrten.
Ich kann ja den geistlosen Materialismus unserer „Kultur“ auch nicht leiden. Aber doch nur, weil er mir als aufgedrungener bewusst ist.

Deswegen sind mir die angeblichen Paradoxa, die der Dalai Lama entdeckt haben will, keine Einladung zu seiner Sorte Spiritualität. Beispiel: Unsere Zeit habe so viele Kommunikationsmedien hervorgebracht, aber man rede immer weniger mit einander. Und das soll ein Widerspruch sein, der in der Sache selbst liege und sich deswegen zu Fall bringe?

Dazu wäre zu sagen: man muss dem Mittel (Medium) schon erst mal den Zweck der allgemeinen Verständigung unterstellt haben, bevor ihm ein Verfehlen seiner Bestimmung angekreidet werden kann. Es steht aber bei der Ein-Weg-Kommunikation von vornherein kein gewaltfreies Geplauder im Programm, sondern ein VERABFOLGEN. Und das klappt doch hervorragend. Siehe Staatsrundfunk und Fernsehen von Kanal 1 bis 200.
Des dollen Lamas Anmahnung der Aufhebung eines Sinndefizits ist es, worauf das metaphysische Bedürfnis gerne hereinfällt, von der BILD bis zum Herrn Koch. So einig wie die sich sind, kann man getrost von einem gewollten 1000jährigen Reich der Sinn-Defizitler ausgehen. In ihm erscheint nämlich die Abwesenheit und der Mangel als Füllhorn alles rundum Befriedigenden.

30. März Transfer nach Gangtok (Sikkim)
Die Jeeps, mit denen hier der Personenverkehr vonstatten geht, sind in einem besorgniserregenden Zustand.
Statt eventuell vulkanisierter Reifen, weisen diese - fast durchgehend - kalt aufgeleimte Laufflächen auf.
Der Ersatzreifen, bei dem schon das Gewebe freiliegt, ist auf dem Dach untergebracht, damit auf dessen rückwärtiger Aufhängung noch ein weiterer Fahrgast sich verankern kann.
Es schaudert einen beim Nachzählen der Muttern, die den Reifen in der Laufrichtung fixieren sollen. Alles Quatsch, was der TÜV sagt. Vier von denen tun´s doch auch.
Der linke Außenspiegel fehlt bei den meisten Jeeps. Wenn er noch dran ist, dann deswegen weil dieser nutzlose Schnickschnack 24 Stunden am Tag nach innen geklappt ist.

31.März
Ausflug zum Kloster Rumtek. Das ist eine originalgetreue Nachbildung eines tibetischen Klosters, errichtet in den 60ern.

http://www.shunya.net/Pictures/Himalayas/Sikkim/Rumtek02.jpg

http://www.shunya.net/Pictures/Himalayas/Sikkim/Rumtek03.jpg
Die Architektur streng, very basic.
Die Eingangshalle mit dekorativem Freskenprogramm:

http://www.shunya.net/Pictures/Himalayas/Sikkim/Rumtek07.jpg

Ein sympathischer französischer Osho-Jünger, der den Meister noch mit zum Scheiterhaufen getragen hat und eine lovely english lady von ca. 70 Jahren waren mit von der Partie. Good company.
Bei den Gesprächen fiel mir auf, dass unsere Übersetzung von „conscience“ als „Bewusstheit/- sein“ wegen ihrer aufspaltbaren Objektgerichtetheit falsch ist. Dass in lateinisch conscientia die eigene Involviertheit in einem mit - gewußten Horizont gemeint ist, wird im Deutschen durch den lexikalisch schon - und anders - besetzten „Mitwisser“ verdeckt und verunklärt.
Na ja, Leute, ihr merkt schon, es regnet mal wieder, und Seine Merkwürden spintisiert sich mal wieder über die Stunde bis zum mail-Schreibseln, wo er seine Renate mit Worten streicheln geht.
Bei diesem nachmittäglichen Gewitterregen sind die Alternativen knapp.

01. April
Fahrt zum Tsomgo Lake, nahe der chinesischen Grenze.
Unserer war der 192. - per Permit zugelassene - Jeep
Das ehemals wohl heilige Gebiet glich also eher einem Jahrmarkt, den die Inder zum Rumbalgen im Schnee nutzten.

http://voiceofsikkim.com/wp-content/uploads/2009/08/TPhotoBig771.jpg

Das Unwetter der letzten Nacht hatte den Fels sehr schön herausmodelliert. Kommt im Foto aber nicht so recht raus.

02. April
Was ich noch sagen wollte zu Sikkim.
Ganz Indien ist eine einzige Müllkippe. Da sticht Sikkim mit seinen strengen Umweltgesetzen angenehm dagegen ab. 5000 Rupien kostet es, wenn man beim Vermüllen der Abwasserkanäle erwischt wird, „oder 6 Monate Einsitzen oder beides.“ So kommt die Schweiz Indiens zu Stande.
Aber nur in der Werbung.
Wo nicht dransteht, dass hier eine „litter- and spitfree zone“ ist, sieht es tendenziell aus wie in Indien.
Ist aber doch ein vorsichtiges Aufatmen des Europäers zu konstatieren.
Hat das was mit dem ökologischen Bewusstsein des Buddhismus was zu tun.
Wie überhaupt die nüchterne Strenge des buddhistischen Tempels von Europäern dem Schmuddellook des Hindutempels vorgezogen wird, in dem es zugeht wie im anti-autoritären Kindergarten während der Malstunde. Da mischen sich die Farben mit den Speisegaben der morgendlichen Puja. Die Affen schmeißen mit dem ungekochten Reis rum, und den Tauben gefällt es da auch. Vom Blut der Opfertempel gar nicht zu reden.

03 April:
Langsames Zurückarbeiten in Richtung Kalkutta
Es ist unglaublich, wie fett man von der Keuschheit und den kargen Reismahlzeiten eines Mönchs werden kann.
Der Mönch in der roten Kutte neben mir im Bus nach Kalimpong war wohl auch einer, den seine Eltern zum Mönchstum verdonnert hatten, so unanständig breit wie der sich machte.
Kann aber auch sein, dass er auf dem Leib- und Magenspruch der Buddhies besteht, dass das Leben Leiden sei, und er mir das nachdrücklich zu bedenken geben wollte. Statt sich bescheiden – mit nach vorn fallenden Schultern – zwischen uns zu quetschen, verschränkte er die Arme vor der Brust. Mit blieb von meinem Sitz ein linkseitiges Drittel, das ich mit meinem Sitzbein umkreiste, weil ein - dem Sitzbein in seiner Oberflächengestaltung ähnliches Pendant - im Polster verborgen lauerte.
Erwähnenswert vielleicht noch, dass in Sikkim und in Westbengalen das sonst in Indien übliche aggressive Marketing völlig fehlt. Keiner, der dich mit freundlichen Worten überfällt, die sich als Einleitung zu einem Verkaufsgespräch herausstellen. Keiner, der dir ein „fuck you“ hinterher ruft, wenn du die Besichtigung seines Ladens ausschlägst, weil das heute schon die hunderste Anmache war.
Geschäftstüchtig ist man hier auf diskretere Weise. Vom Preis des Zimmers her durfte ich annehmen, dass ich „hot shower“ inclusive hätte. Die Wirtin versicherte mir das auch.
Leider lag da ein kleines „problem of communication“ vor.
Heiß und shower, ja, aber auf der Gangdusche, einen Stock tiefer, und nur abends zwischen 19 und 20 Uhr.
So geriet ich an das teuerste und zugleich schlechteste Zimmer meiner Reise.
Da hatte ich es wieder mal verdammt nötig, ein wenig zu buddhisteln:
-Cut your mind!
-Enjoy!
Sonst wäre ich doch glatt dem großen Dämon des unterscheidenden Gedankens erlegen, dem nicht alles Eins ist.
Mit festem Blick auf die Nicht-Zweiheit wurde ich gleichgültig der ungesunden Geistesverfassung gegenüber, die sich am liebsten mit einem kräftigen Sprüchlein der Abneigung verunreinigt hätte.
Um die Begierde nach der Welt und die Niedergeschlagenheit durch sie zu überwinden, begnügte ich mich mit einem situationsgerechten: SCHEISSE!

-3. – 4. April
Transfer nach und Einnisten in Kurseong
Es geht schön langsam auf die 40 Grad zu.
Leistete mir also den Luxus eines kühlen, sauberen, ruhigen Raums. Welch eine Köstlichkeit in Indien!

5. April
Gleich ist es 12:00 Uhr. Check-out time.
Dann werde ich ausgestoßen in die Welt eines permanenten Stress.
Runter also in die Gangesebene.
Außer profuser, kontinuierlicher Schweißproduktion war an diesem Tag nichts von mir zu erwarten.
Bei 40 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit ist das, als ob dir einer ständig einen nassen Waschlappen ins Gesicht klatscht. Einen warmen.

Aufatmen erst im klimatisierten Nachtzug von New Jalpaiguri nach Kalkutta.

06. April
Ankunft 6: 40 morgens in Kalkutta. Sich rumdrücken bis zur check - in time in einem flughafennahen Hotel.

Da strecken sich doch glatt welche im Strassendreck aus, längelang!
Vermessen sozusagen den Weg mit ihren ausgestreckten Leibern. Kreiden liegend ein Kreissegment vor sich auf den Asphalt, richten sich auf, gehen zu dem Strich, hinter dem sie sich wieder auf die Knie fallen lassen, dann auf die Hände, auf den Bauch.
Quer durch jede Pfütze, mitten durch den Straßenschlamm.
Von Zeit zu Zeit besprenkelt eine Begleitperson den Leibesübenden zur höheren Ehre eines Hindugottes. Kurz vor dem Erreichen des Tempels werden die Erschöpften mit Kübeln von Wasser auf ihren Rücken erfrischt.
Dann die „Squatter“ auf den ehemaligen Bürgersteigen!
Zwei Bambusstangen in den Rinnstein gepflockt, eine schwarze Plane drübergezogen und am Eisengitterzaun des begüterten Nachbarn jenseits des Bürgersteigs festgezurrt. Fertig ist das Eigenheim.

Litanei des Wartens
Auf den Flug bei feuchten 40 Grad.

Nach dem Einchecken im Hotel
sieht man mich auf der Bettkante sitzen, weil in einem Meter Entfernung, über dem Fernseher, ein Spiegel angebracht ist, und die Rasur nachgeholt werden muss.
Man sieht mich dem warmen Wind des Ventilators wollüstig hingegeben.
Man sieht mich mit unsäglich langsamen Bewegungen meine Sachen für den Flug sortieren.

Man hört mich so heftig meditieren, dass die Nachbarn Protest gegen die Wände trommeln.
Man hört mich mit dem Magen knurren, aber vor Sonnenuntergang verlasse ich nicht dieses Gebäude.
Man hört mich duschen und ganz schnell damit aufhören. Das Wasser hat mehr als Körperwärme.
Langsam rinnen die Schweißtropfen ins Laken und verzischen da.
Man hört mich murmeln: was war das doch so schön in der Waschküche der Berge, wo man morgens die klammen Kleider erst trockenwohnen musste.

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