Mittwoch, 11. November 2009

5000 km Iran.

Die teilweise totale Wahrheit

Motto:
Da ich nun mal kein Hund bin, was also soll ich hinter dem Ofen?

17. – 18. Oktober 2009: Teheran
Morgens um halber Viere im Taxi vom Imam Khomeini-Flughafen in die 40 km entfernte Hauptstadt.
Nach den üblichen Einleitungsfloskeln macht der Taxifahrer folgendes Gesprächsangebot: „Ah Germany! Hitler good man!“

Betretenes Schweigen meinerseits.
Und Nachdenken über Volkes Stimme. Hitler hatte sich mit England und Russland angelegt, den seinerzeitigen Feinden des damaligen Persien, das erst auf Anraten von Hitlers Beratern 1935 in Iran, das Land der uns verwandten Arier, umbenannt wurde...

Wanderer, kommst du nach Tehran, bedenke, du hast als Fußgänger keinerlei Rechte.
Auf dem Bürgersteig kommen dir Motorräder entgegen, nachts ohne Licht. Sie und die anderen vierräd´rigen Fußgänger-Vernichtungs-Fahrzeuge fallen dich auch heimtückisch von hinten und von der Seite an. Lege dir also beizeiten ein rückwärtiges Augenpaar zu. Denn Bremsbeläge sind teurer als eine gute Versicherung.
Der ungustuöse Moloch Teheran ist einfach zu laut, zu groß (12 Millionen nachts, 16 Millionen neurotisiert Hastende tagsüber) und von einer schockierenden Rücksichtslosigkeit.

-Teheran Süd: Archäologisches Museum: die getöpferte, riesige Schale von - sage und schreibe – 7000 Jahren hat es mir angetan. Auch sonst mangelt es nicht an Denk- und Sehenswürdigkeiten. Werde auch beim Wiederlesen dieser Notate mich gern an den eleganten schwarzen Hund/Löwen? erinnern.
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-Nationales Juwelenmuseum: Da gibt es einen Globus aus ca. 3,8 kg Gold mit über 56.000 Brillianten besetzt, es glitzert da also nur so rum wie eine aufgebretzelte Vorstadt-Diva. Und da hat es einen „Diamant des Lichts“, der ca. 184 Karat wiegt. Mir kommt das alles ziemlich vulgär und kitschig vor.
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Das ist aber noch gar nix gegen den kitschigen Qadjaren-Barock (Golestan-Palast), den die Herrscher des 19. Jahrhunderts und ihre Nachfolger, die Pahlevis, sich an die Wände kleisterten. Man sieht auf den ersten Blick, dass das viel Geld gekostet haben muss. Alles ein wenig öde, und man registriert mit Kopfschütteln, dass das legitime Knechten der Leute anscheinend gleich ganz anders dasteht, wenn es auf repräsentative Weise geschieht.

- Das Schönste an Teheran ist der ungewöhnlich hohe Prozentsatz an schönen Menschen beiderlei Geschlechts, die es mit den rigiden Kleidervorschriften nur mal gerade so genau nehmen wie sich das mit individuellen Stilvorstellungen vereinbaren lässt.
- Wenn sowieso alles, aber auch wirklich alles verboten ist, dann kann man genau so gut machen, was man will. Eine kleine Demonstration beispielsweise, die einfach so ohne Mucks in der Nähe des Khomeini-Platzes dastand, ließ sich schweigend in wahllos herausgegriffenen Exemplaren die Handschellen anlegen und abführen.
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19. Oktober 2009: Nach Osten
Am Alborz - Gebirgszug entlang nach Osten. Über Semnan, Damghan und Shahrud nach Bastam. Oder na ja, die alte Seidenstraße komfortabel im Reisebus entlanggeschaukelt. Gar nicht mal so unlangweilig! Ab und zu Pistazien-Plantagen und Kürbisse.
Da greift man denn doch zum vorsorglich mitgebrachten Mystiker Farid ud -Din Attar und liest darin Wundersames.
Abends dann die stimmungsvolle Klosteranlage des „Königs der Mystiker“ Abu Yazid Bastami, oder auch Bayezid Bistami. Von ihm sind keine Aufzeichnungen überliefert, sondern nur ketzerische Ausrufe der Verzückung.
Folgende „gesalzene“ Anekdote über ihn sollte ich mir vielleicht doch merken:

Bâjezid sprach zu Ahmed Khizreviyeh: »Wie lange noch wirst du die Welt nach allen Richtungen durchschreiten?«
»Wenn ein Wasser irgendwo stockend wird«, antwortete Ahmed, »verdirbt es«.
»So sei wie das Meer«, sprach Bâjezid, »und du wirst nicht verderben«.

20. –21. Oktober 2009: Mashad
490 km bis Mashad. Neben Qom DAS Pilgerzentrum der Schiiten.
Am Wege in Neishabur die Gedenkstätten des Dichters und genialen Mathematikers (ja, das gibt es wirklich!) Omar Khayyam, des Mystikers Attar und des Malers Kamalol Molk. Ein herrlicher Tag also, denn die Anlagen dieser nationalen Wallfahrtsziele sind jeweils ein Vorschein aufs Paradies.
Ein Volk, das seine Dichter kennt und liest und liebt, kann übrigens nicht so schlecht sein wie die „Achse des Bösen“ uns weismachen will. Hierher gehört auch die Ruinenstadt Tus . und das Mausoleum von Ferdowsi, dem Verfasser des nationalen Heldenepos 'Shahnameh'.
Zum Vergleich: Südamerikaner verehren offiziell Generäle und allgemein bekannte Schweinehunde bis zum Grade der Be-Namsung von Städten nach ihnen: Ciudad Trujillo. Skandinavier haben es mehr mit den gesetzten Typen des erfolgreichen Bürgertums....usw.
Aber auf die Idee eines Identifikationsangebots aus den Bereichen der Lyrik, das steht meines Wissens einzigartig und isoliert von allen vernünftigen Leuten da.

Und Mashad? Da bin ich mir jetzt zu schade für ein paar dahin geschmarrte Floskeln und hingerissene Trivialitäten. Will auch gar nicht ersatzweise bildungsbürgerliche Würdigungen der Bedeutung und Bedeutsamkeit für die Schiiten anbieten.
Ich bin da jedenfalls durch die Höfe des riesigen Komplexes in merkwürdiger Verfassung herumgeschlichen. Stellte das plötzlich an meiner komisch oberflächlichen Atmung fest, dass mir so ganz anders als sonst ist. War es Ehrfurcht? Erfahrung eines mich umgebenden tausendfachen lachenden Lebens im Schutze des Heiligen?
Ich habe auch keine Lust, da jetzt etwas zu entmythologisieren. Denn schon der bloße Wille zum Ergründen eines Geheimnisses hat es bereits zerstört, weil es seinen mächtigen Bann über den Geist eingebüßt hat. Und nicht immer steht an Stelle der Ruine der stolze Neubau einer Erklärung.

22. Oktober 2009
1000 km bis Yazd, die wir in Gonabad/Bidokht unterbrechen.
Irgendwelche Djinns schieben draußen gemächlich die Wüste vorbei. Man merkt es an den Bergzügen, die links oder rechts mal auftauchen und wieder untergehen.
Zu meiner Unterhaltung lege ich eine Typologie der Mitreisenden an, sofern sie tatsächliche Charaktere ausgebildet haben und nicht bloß pompöse Belanglosigkeiten von sich geben, die im Bereich des eingelösten Erwartbaren liegen. Einen Gedanken zu äußern, ist ihnen eine schockierende Ungehörigkeit.
- Da ist etwa die dampfplaudernde Platzanweiserin.
Diese Inkarnation der reinen Güte inge - meiselt voller Wohlwollen ihre familiären Großtaten in die Runde. Von London über Paris und Rom bis in die Antarktis ärztet und rechtsanwaltet ihre Brut, während sie selber schon vor 30 Jahren dort war, wo es der ins Gespräch Gezerrte mit knapper Not erst jüngst hingeschafft hat. Dabei legt sie ihrem Opfer begütigend ihre Hand auf den Unterarm, offenbar unbewusst ahnend, wozu der vom dritten Durchgang des schon gestern nicht mehr Neuen Gemarterte gute Lust hätte.

- Der Profilneurotiker.
Dieser „Ich – zum – Beispiel“ posaunt allgemein akzeptierte Prinzipen wie Fußball und sportliche Großtaten am Steuer schneller Autos in aller Gedächtnis, um dann mit seinem “Ich-zum-Beispiel“ zart anzudeuten, dass er in der selben Liga mitmischt. Diese längeren Ausführungen, die schon mal die Ausmaße einer halben Lebensgeschichte ausmachen können, vermeiden es tunlichst, ihn nicht ins rechte Licht zu setzen. Dazu muss man gelegentlich schon mal die Kerze von unter dem Scheffel hervorholen, sonst merkt es ja keiner, mit welchem Bündel von Tauglichkeiten in die verschiedensten Richtungen man es da zu tun hat..

- Der Problemabstinente
hat es in seiner Vervollkommnung so weit gebracht, dass er immer dann Enthaltsamkeit von Stellungnahmen zu –wie er sagt – Kontroversem übt, wenn Urteilsfähigkeit gefragt wäre.
Damit gibt er den Einfaltspinseln zu verstehen, wie weit sie es noch bis zu ihm hin haben.

- Der Bildsinnige
Läuft mit Kamera, Stativ und Camcorder los, um festzuhalten, worauf sein Auge fällt.
Er liebt Redensarten von der intellektuellen Durchschlagskraft eines „Geschäft ist Geschäft“, wenn vom Giftgaskrieg zwischen Irak und Iran und dem Beitrag Deutschlands dazu die Rede ist.
Gebrauchst du Sinnbilder in deiner Rede, weist er dir mit schneidender Stimme nach, dass darin eine Abweichung vom Sichtbaren vorliegt.
Da wappne ich mich insgeheim mit meiner geistigen Wegzehrung Farid ud-Din Attar: „Oh vom Anblick Erstaunter, die innere Bedeutung hat sich vor deinem Herzen verborgen. Tag und Nacht bist du blind. Gebunden an den Anblick bist du wie eine Ameise geworden. Sei ein Mann des Sinns und verwickle dich nicht in den Anblick. Was ist der innere Sinn? Der Ursprung. Was ist der Anblick? Nichts...usw.

23. – 25. Oktober 2009: Yazd
Die Geröll-Wüste flüstert mir immer noch nichts.
Sie ist einfach eine permanente Anwesenheit von sonnengeprügeltem hässlichem Nichts, das aufhören soll.

Schließe die Augen. Was du dann siehst ist Dein.

Ordnungsverlust als Chance.

Das Ungenügen des Mystikers an der Enge der Welt führt anderwärts zum ebenso falschen Maß des Absoluten.
Aber der Sufi hat immerhin so viel für sich, dass er an den durchmoralisierten Konkurrenzcharakteren dieser Busbelegschaft ihre gewollte Beschränktheit aufwiese. Von denen ist keiner mehr auf irgendeinem Weg. Die sind fertig und in ihrem Element wie die Ente im Wasser.

So ist der Leistungsideologe
für ein Ein-Parteien-System der Fähigsten einer Elite.
Hat großes Verständnis dafür, dass die Achämenidischen Könige in ihren Rechenschaftsberichten auf den Putz hauen. Die haben sich nämlich ein Weltreich zusammengekriegt. Während du noch nicht einmal Hochleistungssportler bist wie gewisse hier durchaus Anwesende.
Der Parther-Prinz im archäologischen Museum von Teheran hat sich in dieser Sichtweise seine überlebensgroße Bronzestatue nicht etwa durch seine bloße Abkunft verdient! Beileibe nicht, und die Propaganda legitimer Ansprüche an die Loyalität der Untertanen ist ebenfalls strikt von der zuschlagenden Hand zu weisen.
Zwar weiß man über diesen Dynastie-Sprössling überhaupt nichts. Das stört dann freilich umso weniger bei der Bebilderung eines längst feststehenden Ideals, dem notwendigerweise aber auch alles unterlegen sein muss.

-Der „I-streit-mi-net-gern
empfiehlt bei Differenzen, der Abweichler möge doch ruhig bei seiner Meinung bleiben. Er selber jedenfalls werde seinem eigenen Rat folgen und bei seiner bleiben.
Beispiel: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, sagt er, der humanistisch Gebildete.
Einer aus der selben Zunft gibt zu bedenken :“Polemos heißt nicht nur Krieg, sondern auch kämpferische Auseinandersetzung jeder Art. Wie zum Beispiel noch in unserm Wort Polemik. Und dieser bellizistischen Dialektik entsprießt in der Tat gar manches.“
So ein Hinweis auf die Interessiertheit der falschen Übersetzung durch Militaristen ist einer in eine ganz falsche Richtung. Weswegen der Kriegsliebhaber bei seinem Leib- und Magengemeinplatz verharrt und „Si net gern streit´t“.

Ein letzter Casus all dieser auf ihre jeweilige Weise Vollkommenen ist
der Tiefschürfer.
Der sitzt an seinem Loch und bohrt glücklich mit seinem Löffelchen darin rum.
Nicht dass ihr jetzt glaubt, das solle mal ein Brunnen werden!
Sein Stolz ist es ja gerade, solch profane Zweckmäßigkeit zu vermeiden.
Er lehnt auch jede angebotene Hilfe rundweg ab und beißt sogar Kooperationswillige weg.
Seit langem schon hat er bereits die letzte archäologisch eventuell interessierende Schicht hinter sich gelassen.
Sein Troja soundsoviel steht ihm noch in Kürze bevor.

Das Schlimme an dieser kleinen Typologie von Charakteren ist, und das presst uns schon einen leicht gequälten Seufzer ab:
Jeder ist auf seine Weise vollkommen.

Aber wirklich mögen muss ich ja keinen von denen, außer einem Bayern, der wie ich die bayerische Kulturtradition des sackgroben Worts pflegt, und einem pfiffigen Italiener.

In der Wüstenstadt Yazd wurde unter anderem ein Feuertempel der Zarathustra-Anhänger (Parsen) besucht.
Zardoshts Lehre lässt sich in drei Worten zusammenfassen: „Gute Gedanken, Gute Worte, Gute Taten.“
Also damit bekommt doch niemand ein Problem!
Gute Worte könnt ihr von mir bekommen, soviel, dass euch die Ohren abfallen.
Mit den guten Gedanken ist es sogar noch leichter. Die hat doch jeder, der sie nur zulässt.
Einzig die guten Taten bereiten bis auf den heutigen Tag erhebliche Schwierigkeiten.
Als Zardusht seinerzeit mit dieser neuen Idee hausieren ging, stieß er schon damals auf blankes Unverständnis:
Wie jetzt? Rauben, Morden und Plündern sollen auf einmal verboten sein?“ „Und wovon soll man nun leben?“

Ich kann das Problem der damaligen Steppenvölker gut verstehen.
Es ist nämlich bis auf den heutigen Tag nicht bekannt, wovon die führenden Industrienationen denn sonst leben sollten.

26. Oktober 2009
Nächtigung - laut Ausschreibung der Reise - in einem „lokalen Gästehaus“ in der Nähe von Bazm bei Nomaden.

Das einzige Nomadische waren wir, die wir nächtens auf dem Fußboden einer stinknormalen Familie nomadisieren mussten was das Zeug hält. Der Opa hustete wie kurz vor seinem Ende und stank die völlig überheizte Bude voll. Alle paar Minuten musste einer von uns 20 Reisenden oder ein Angehöriger der Familie sich zur Hoftoilette durchtasten.

Flucht vor die Haustüre, wo der Orion geräusch- und geruchlos von links nach rechts wanderte.
Der mäßige Ertrag dieser verdammt kalten Nacht auf 2200 Höhenmetern bei unzureichendem Kälteschutz: Wenn alle Anschläge für und gegen die lieben Mitmenschen nicht verfangen, wirft sich so mancher aus Hilf- und Ratlosigkeit Gott in die Arme.

27. Oktober 2009: Persepolis

Am Weg nach Shiraz liegt Pasargade, und dort das Grabmal des persischen Königs Kyros II, des Grossen.
Im Folgenden lassen Wir , Christian der Grosse, aus eigener Machtvollkommenheit jenen alten Zunftkollegen mal sein Selbstverständnis formulieren.. Da aber jeder daherkommen kann und behaupten, er wäre der Kaiser von China, intervenieren Wir zur Entzerrung wahnhafter Selbstwahrnehmung in Klammern mit ein paar galligen Kommentaren:
„Ich, Kyros, Herrscher des Iran, Babylons und aller Himmelsrichtungen,
mit Hilfe Ahura Mazdas verkünde ich, (da selber zu sprechen und Sätze zu machen eine verabscheuungswürdige Unmöglichkeit darstellt),
dass ich die Traditionen, Bräuche und Religionen der Völker meines Königreiches respektieren werde (solange die Völker ihre Tribute in der jeweils angesetzten Höhe im Schatzhaus von Persepolis abliefern)
Solange ich König bin, werde ich nicht zulassen, dass jemand das Eigentum eines anderen gewaltsam oder ohne ihn zu entschädigen, vereinnahmt. (Hierauf erhebe ich einen Ausschließlichkeitsanspruch, den ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Gewaltmitteln durchsetzen werde.)
Solange ich lebe, werde ich mein Volk vor unentlohnter, erzwungener Arbeit schützen. (Denn die neue Erfindung des Geldes durch die von mir eroberten Lyder ermöglicht eine sehr viel elegantere Bewirtschaftung der ehemaligen Sklaven: jetzt müssen sie selber für alles aufkommen. Von der Garantie eines Mindestlohns ist hier übrigens keine Rede.)
Heute verkünde ich, dass jedermann frei in der Wahl seiner Religion ist. (Aber eventuell daraus abgeleitete praktische Diversionen und Widersetzlichkeiten werden durch die geheime Staatspolizei und ein allgemeines Spitzelsystem unter Kontrolle gehalten)
Jeder hat das Recht dort zu leben und zu arbeiten wo er möchte, (so er denn dort jemanden findet, dem die angebotene Dienstfertigkeit einen Lohn wert ist)
solange er dabei nicht die Rechte anderer verletzt. (d. i. in diesem eingerichteten Verhältnis selbstverständlich das Recht seines Anwenders.)
Niemand darf für die Fehler seiner Familie zur Rechenschaft gezogen werden. (Also da mache ich echt einen Stich gegen dem ollen Jehova sein von ihm fernmündlich diktiertes Buch.)
Ich verbiete die Sklaverei ...solche Traditionen gilt es auszurotten auf der ganzen Welt. (Es zahlt sich halt einfach nicht aus.)“
Gezeichnet und für richtig befunden: Kyros (Kourosh), 580 – 529 v.Chr.
Unweit davon liegt Naqsch-e Rostam, eine eindrucksvolle archäologische Stätte, sechs Kilometer nördlich von Persepolis. Hier befinden sich vier Gräber jener achämenidischen Großkönige, die wir aus dem Geschichtsunterricht unseligen Angedenkens kennen (Dariusse und Xerxesse), sowie eine Reihe sassanidischer Felsreliefs aus dem selben Geiste, nämlich dem der Propaganda unwidersprechlicher, erfolggekrönter Macht. Die gewaltigen Ausmaße dieser überdimensionalen Felsreliefs dürften die hier jahrhundertelang vorüberziehenden Karawanen ziemlich beeindruckt haben.
Mein Gott ja, Persepolis ist ein Hammer, genau in dieser Richtung der Angeberei. Das hat aber einen Alexander nicht davon abgehalten, von diesem antiken „Capitol“ zweckgerichteten Gebrauch zu machen.
Warum die Schlächter der Weltgeschichte die Grossen heißen, will mir aber immer noch nicht in den Kopf. Der Alexander, der aus Griechenland aufgebrochen war, um den Persern heimzuzahlen, dass die ein Jahrhundert vorher die Akropolis angezündet hatten, der hatte einen ziemlich einfältigen Plan: Rein nach Persepolis, das Schatzhaus geplündert, die mächtige restliche Anlage abfackeln und raus! Damit die kommenden Eroberungszüge bis - vorerst mal - Indien finanziert werden können.
Und dafür heißt so ein Schlagetot nun "Der Grosse" und wird den Kindern zur Nacheiferung angeboten.

28. Oktober 2009: Shiraz
Das Mausoleum des 1190 in Shiraz geborenen Saadi befindet sich in einem Garten im Nordosten der Stadt. An diesem Ort hatte der mutmaßlich 1291 in Shiraz gestorbene Dichter und Mystiker auch seinen Alterssitz. Das heutige Grabmal (Saadiye) ist ein Neubau aus dem Jahr 1952. Es ist seit jeher eine vielbesuchte Pilgerstätte, denn Saadi gehört zu den populärsten Dichtern des Landes.
Typisch für Saadis lyrische Allegorese ist folgender ausgefallene Einfall: die Tatsache, dass Allah die Menschen mit zwei Augen und zwei Ohren, aber nur mit einem Mund ausgestattet habe, erlaube den zwingenden Schluss auf Allahs Willen, die Menschen sollten zweimal soviel sehen und hören als reden.
Heinrich Heine greift diesen - von Saadi gar nicht bissig gemeinten - Hirnpups auf und verfertigt eine modernisierte Adaption in seiner Ballade «Zur Teleologie» :
Gott versah uns mit zwei Händen,
Daß wir doppelt Gutes spenden;
Nicht um doppelt zuzugreifen
Und die Beute aufzuhäufen
In den großen Eisentruhn,
Wie gewisse Leute tun -
(Ihren Namen auszusprechen
Dürfen wir uns nicht erfrechen -
Hängen würden wir sie gern.
Doch sie sind so große Herrn,
Philanthropen, Ehrenmänner,
Manche sind auch unsre Gönner,
Und man macht aus deutschen Eichen
Keine Galgen für die Reichen.)
....

Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppeltmäulig wär,
Fräß und lög er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
Muß er schweigen unterdessen,
Hätt er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen...

Was bei der Begehung des hübschen Geländes noch von Interesse gewesen sein dürfte, war die Entdeckung eines Schnullers aus reinem Gold im jetzt schon gelangweilten Gesichtchen eines kleinen Kuwaitis. Ich habe extra nachgefragt, und die Eltern versicherten mir die Richtigkeit meiner Vermutung.
Dass ich so was überhaupt bemerke und für erwähnenswert halte, ist aus der Sicht der Mystiker übrigens eine ganz unverständige Sicht meiner getrübten Vernunft.

Und dann ist da noch das gern von jungen Verliebten bevölkerte Mausoleum des Dichters Hafiz, dessen Liebes- und Schenkenpoesie man bedenkenlos als Lektüretip empfehlen kann.

In einer der schön farbigen Moscheen von Shiraz haben wir uns ein kalligraphisches Spruchband vom einheimischen Guide übersetzen lassen:„In der Moschee ist ein Gläubiger wie der Fisch im Wasser, der Heuchler wie der Vogel im Käfig.“
Und ich habe immer geglaubt, es wäre genau umgekehrt.

Ein starkes Erlebnis war die unfassbare Pracht des Mausoleums von Shah Cehan (Shah des Lichts!), die ich mir gleich zweimal gegönnt habe. Mittags und nachts bei Beleuchtung.
Die Spiegelmosaiken und die in Stalaktitengewölben aus Spiegelmaterialien endenden Gewölbe dieses Raumes haben etwas ungesehen aber gefühlt Überirdisches, in dessen Glanz man sich gerne willenlos in Hingabe (Islam!) auflösen würde.

Klingt verrückt.

Es geht aber noch verrückter. Einer der Gläubigen, die sich dort Kraft holen wollen, schimpft mit dem Heiligen, der ihm offenbar etwas versprochen hatte. Die Lieferfrist des Gewünschten war – gemessen an der Lautstärke – schon seit längerem abgelaufen.
Ich habe es ja immer gesagt: Verrücktheit bemisst sich keineswegs an objektiven Befunden, sondern an der Frage, ob dadurch die Funktionalität des Menschen beeinträchtigt ist, oder gar im Gegenteil dadurch erst wieder hergestellt wird.

29. Oktober: Yasuj
Aah, endlich Regen!
Der Margoon – Wasserfall in wildromantisch-phantastischer Felslandschaft aus aufgeblähtem Gedärm, Bestandteil einer Landschaftsfahrt durch das Zagros – Gebirge.
Die Gebirge im Zentral-Iran sind übrigens spektakuläre Hingucker.

30. Oktober – 1. November 2009: Isfahan
Sitzend am Computer und e-mailend in der zugigen Rezeption eines " traditional " Hotels, was heißt, dass alles sehr eng und unbequem ist.
Um in mein Zimmerchen zu gelangen, muss ich eine enge, sich wendelnde Treppe hochklettern, auf dem Treppenabsatz oben dann rechts die zwei Flügel der Tür öffnen und mich merklich bücken, damit ich überhaupt einmal ins Zimmer rein komme.
Das Bad ist von der selben Stelle aus geradeaus. Mit denselben Zugangserschwernissen.
Beide Räumlich-kleinst-keiten liegen nämlich jenseits einer sehr hohen Schwelle.

Und dann hab ich plötzlich eine kleine Erleuchtung:
Schwelle.
Ich liebe Schwellen.
Sie künden ein Jenseits davon an.
Auf ihr stehend weiß man mit Sicherheit, dass es da vorne noch etwas gibt.
Und ich bin einer, der auf ihr verharrt.
Die vermuteten Köstlichkeiten da drüben
versuchsweise schon einmal über die Zunge rollen lassend.
Den jetzt nötigen nächsten Schritt lieber denkfühlend
schwillt mir der Kamm.
Und so krähe ich mich
und meine nächste Strophe.

Man kann so ein traditionelles Schlafangebot natürlich auch als schnuckelig bezeichnen, denn die bunten Glasfenster gehen auf einen niedlichen Innenhof mit Wasserspielen im länglichen Bassin.
Wir sind sehr zentral untergebracht, das heißt in der Nähe des zweitgrößten, aber sicherlich schönsten Platzes der Welt, der im südlichen Teil von herrlichen Moscheen eingefasst ist. Rundum zweistöckige Arkaden, die den hässlichen Rest der Welt ausschließen.

Außer mir sind noch viele, viele Leute am Spazierengehen.

Dann Abhängen im Teehaus, wo die Wasserpfeifen gluckern.
Umwölkter Gedanke: So wunderschön diese Moscheen sind, man sollte sie einfach alle abfackeln. Ihre Symbolik der Kuppel gestaltet nämlich in ihrer Einfalt immer nur eine abstrakte Einheit aller Teile, die in all ihrer Verschiedenheit beitragen zur Harmonie des Ganzen, von dem sie bestimmt werden. Das ist ein guter Gedanke, der dem Herzen des Gehetzten Heilung in der momentanen HERZENSERHEBUNG verspricht.
Leider sind die guten Gedanken nicht zugleich richtige.

Dann „Beriani“ (Gehacktes mit Leber auf Fladenbrot, nebst frischer Minze als Salat) und ein Nachtisch aus Reisglibber mit braunem Sirup.
Das wären dann also schon wieder zu viele Kalorien für einen im Bus sitzenden Lebenswandel gewesen.

Es fallen die mit „1 2 3“ beschrifteten, am Straßenrand parkenden Kastenwagen auf, die dem in seiner familiären Not Hilflosen als Kummerkasten zur Verfügung stehen. Sozialarbeiter versuchen ihm darin seine Krise auszureden und in etwas ganz anderes umzulügen.
Unser Guide meint dazu, dass eben nicht alles schlecht sei, was das Mullahregime in die Welt setzt. Wir würden schließlich alle miteinander irgendwie zusammenhängen, und das müsse ja zu Problemen führen.
Diese formelle Benennung eines irgendwie Gesamts unterschlägt, dass man da schließlich kein Geld verteilt, sondern dessen Mangel zur auferbaulichen Leistung des Lebenskämpfers umformuliert wird. (Arbeitslosigkeit 30%, Inflation 25 %)
Es wird also auch im Gottesstaat Iran so getan, als ob der Kritiker das Problem heraufbeschwört, das er benennt.
Das hat gute mindestens 2500jährige Tradition: Der Überbringer schlechter Nachrichten wurde in den alten Reichen geköpft. Von ihm nämlich ging feststellbar etwas aus, das dem Herrscher ein ganz mieses Gefühl bereitete.
Damals wie heute ist man ungern bereit, zwischen dem Anlass und Auslöser eines Gefühls und dem tatsächlichen Grund zu unterscheiden. Darin sind sich Herren und Knechte ausnahmsweise in einer einzigartigen Harmonie einig.

Vernunft ist oberflächlich.“

Nur zu wahr! Nur die Dummheit weist die Tiefen der Unergründlichkeit auf.“ .

So sieht man an Zäunen immer mal wieder offenbar industriell vertriebene Spruchweisheiten aus dem Koran.. Mein Lieblingsspruch geht so:“ Von Allah kommt alles Gute. Wenn dir Schlimmes widerfährt, bist du selber daran schuld.“
Zugegeben, das ist eine flapsige Übersetzung des pompösen Koran - Geschwurbels, aber keine böswillige Entstellung des Sinngehalts. Übrigens ist das die gröbste Form der Theodizee (Rechtfertigung Gottes für seine allmächtigen Untaten), die mir je unter die Augen gekommen ist.

Im Stadtteil Jolfa die Kirche der Armenier besucht.
Das gewaltige Bildprogramm gibt ein ziemlich vollständiges Repertoire der christlichen Heilsgeschichte in drastischen Szenen. So wird in der Vita und dem Martyrium eines heiligen Gregorius, des Erleuchters († 333), der als Apostel Armeniens weitgehend unbekannt ist, der zu bekehrende König auf seinem Thron buchstäblich als Schwein dargestellt.

Nach dem Besuch des Museums, das unter anderem auch Angst, Wut und Ekel bereitende Fotos des türkischen Völkermords an den Armeniern enthält, hätte ich mich gerne mit Alkohol verunreinigt. Meinem Willen zur Selbstbesudelung schiebt aber der Islam einen Riegel vor. Selbst wenn ich an Alkohol hätte herankommen können: in flagranti erwischt, gibt es bis zu 80 Schlägen mit der Peitsche.

2. November 2009: Abyaneh
Auf dem Rückweg nach Teheran Besuch eines abgelegenen Tals in den zentraliranischen Bergen.
Hier, an einer phantastischen Gebirgskulisse, ist die Welt zu Ende.
Und das ist nach so viel beiger Wüste eine wahre Wohltat: das Grün terrassierter Felder; mit hüfthohen Lehmmauern eingefriedete Obstgärten in Herbstfärbung; eine Männergruppe zieht Ali lobsingend von einer nahegelegenen Moschee über die Hügel zurück ins Dorf, und im Sonnenuntergang fließt die Herde mit ihrem Hirten zu Tal.
Mehrtausendjährige Szene mit Wiedererkennungseffekt.
Hier war ich schon einmal, eingeklemmt in die Weisheit „Als Verheirateter lebst du wie ein Hund, wirst aber beerdigt wie in Shah. Als Junggeselle lebst du wie ein Shah, aber man verscharrt dich wie einen Hund.“
Hier sprechen die Leute einen Dialekt, der dem Altpersischen der seit 2500 Jahren verstorbenen Achämeniden näher steht als dem heutigen Sprachstand.
Als Feueranbeter haben sie sich auch sonst aus der Gewaltgeschichte seit der Islamisierung rausgemischt.
Wie soll man das nennen, was da den basso ostinato des sich weitertragenden Lebens bildet?

Das Unaufhörliche?

3. November: Zurück nach Teheran

Fahrt über Kaschan und Qom.
In Kaschan den Fin Garten und alte Herrenhäuser besichtigt.
Stelle bei mir eine tiefe Verständnislosigkeit fest, was diese hübschen Kaufmannsschlösschen betrifft, bis zu dem Grad, dass ich mich ernsthaft frage, was ich hier überhaupt mache?
Sollte es so etwas wie den verächtlich Schönheitsdurstigen geben? Und warum mag ich den nicht, wenn seine Schönheit gewollt ist, statt überfallartig zu beuteln wie der Anfang von etwas Schrecklichem? (Rilke hat recht!)
Es ist schon so: in sich Saturiertes, Selbstgefälliges, sich selbst in seiner Würde Feierndes riecht mir nach der Bewusstlosigkeit von Verfall und Aas. Es glaubt sich nicht die Grenze, die es darstellt. Wähnt sich gar, in einem Darüberhinaus zu sein.

Nachts:
Ich denke, ich weiß jetzt, was mit den Mystikern los ist. Das sind Leute, die das Scheitern nicht mögen. Also verbünden sie sich mit dem Tod wie ihre Antipoden, die Pfaffen, und gewinnen damit jede ideelle Konkurrenz.
Trotzdem, vergleichsweise gaaanz liebe Kerle, denen ich ins Entwerden lieber folge als ins von den Christen, die das halt so mögen, angedrohte letzte Gericht.

4.-6.November: Ausflug ans Kaspische Meer
nach Bandare Anzali.
Wohl eher eine Verlegenheitslösung als eine innere Notwendigkeit. Trotzdem ist diese Provinz Gilan jenseits des Alborz ein willkommenes, erholsames Kontrasterlebnis gewesen zu diesen endlosen Wüsteneien.
Jetzt habe ich schon in sämtliche Seven Seas dieses Globus gepinkelt, warum dann nicht auch noch zur vervollständigenden Abrundung das Kaspische Meer markieren?!

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