Mittwoch, 16. Juni 2010

Sprachregelung

Ersatz für den Begriff der ins Gerede gekommenen Sache in der veröffentlichten Sphäre.
- Zumeist Euphemismen. Siehe neuerdings „Bürgerarbeit“ als zu schönen Hoffnungen berechtigende Entsorgung von Sockelarbeitslosigkeit, die ihrerseits den älteren Begriff des zur Zwangsarbeit verpflichteten Proleten ersetzt.
Zugelassene Alternativen zum Euphemismus sind:
- penible Nachzeichnung der technokratischen Methodik eines bedeutungsleeren Procedere, die als sinnträchtiges Expertentum erlebt werden soll. Siehe Tagesschau.
-
- Rückführung von Misshelligkeiten zwischen Untertan und Obrigkeit auf missglückte face – to - face Situationen, in denen die Menschen wie Du und Ich nicht auf Ohrenhöhe zugehört haben. Zugrundliegende Gedankenfigur: „Wenn das der Führer wüsste, ...“

Wenn all das nichts nützt, verfängt allemal ein Angriff auf den Sprachregelungskritiker:
- zu pauschal, nicht differenziert genug, das alles sei schon schwieriger...
- zu effekthascherisch,
- Pathologieverdacht:„Was hat der Mann bloß?“,
- die öffentlich-rechtlichen Medien wurden doch ausdrücklich geschaffen, um ein System zu stabilisieren, den demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes nämlich!!!;
- zu banal;
- der Kritiker beleidigt die Intelligenz der berieselten Köpfe;
- kontrastive Erinnerung an die Nachrichtenverbreitungstechnik der DDR.
- Wir brauchen doch den sozialen Konsens, wir leben davon.
-
Richtig, und sterben tun wir an Euphemismen und Eiertänzen schon auch.


„Auge um Auge

und die ganze Welt wird blind sein.“
- Meint Mahatma Gandhi.
-
Diese pfiffige Verunglimpfung des jus talionis findet lebhaften Zuspruch bei allen Befürwortern der christlichen und der hinduistischen Moral der Gewaltfreiheit als eines uneingeschränkt empfehlenswerten Schadensvermeidungsmechanismus.

Mal abgesehen davon, dass das Vergeltungsprinzip ja keineswegs aus der Welt ist, wenn Jesus sich seit Jahrtausenden aus Gründen der empfehlenswerteren Liebesbotschaft gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip beim Rächen ausspricht, es scheint mir doch die jüdische Regelung eine genau so vielversprechende regulative Idee zu enthalten.
Wenn nämlich jeder weiß, dass der einem anderen zugefügte Schaden im selben Maße auf ihn zurückschlägt, dann wird ihm doch stark nahegelegt, sich aus wohlverstandenem Eigeninteresse heraus von vornherein zu hüten, auf seine in Aussicht gestellte Schädigung hinzuarbeiten.

Das Missliche an beiden Konzeptionen ist, dass es in modernen Staaten Gewaltapparate gibt, die straflos Schaden zufügen können.

Der Oberste Gerichtshof wies heute die Petition einer Überprüfung von Maher Arars Fall abermals zurück, jenem kanadischen und syrischen Bürger, der von der U.S. Regierung 2002 auf seiner Rückkehr nach Kanada entführt worden war auf der Zwischenlandung auf dem JFK Flughafen.
Er war zwei Wochen ohne jede Verbindung zur Außenwelt festgehalten und dann nach Syrien überstellt worden, wo er die nächsten 10 Monate unter Folterungen verbrachte, obwohl ihm – wie jeder Beteiligte zugibt – absolut keine Schuld an nichts zugerechnet werden konnte.
Arar klagte gegen die U.S. Regierung für das, was sie ihm angetan hatte, und letzten November hielt das Bundesberufungsgericht die Verwerfung seines Prozessanliegens aufrecht auf der Grundlage, dass Gerichte kein Recht hätten, in solche Entscheidungen der Exekutive einzugreifen.

Damit haben sich die USA das nächste Recht errungen, Unschuldige zu entführen ohne dabei straffällig zu werden.

Gewiss, gewiss, das ist nur ein einzelner Einzelfall von den zahllosen Einzelfällen der rechtlich geregelten Straflosigkeit beim amerikanischen Zuschlagen quer über den Globus.
Aber die zahllosen anderen massenhaften Schädigungen sind ja bekannt.

Unschuldige Opfer
Wer sich so etwas im Ernst vorstellen kann, der kennt auch schuldige Opfer.

Vorsicht, Literatur!

Ein armer Mönch von Skara
Es geht mit mir abwärts, mein Werk ist klein,
Ich armes entlaufendes Schreiberlein,
Ein Bettelmönch, entrechtet,
Vom Kapitel in Skara geächtet.
Ich bin nun ein alter gebrochener Mann,
Zum Teufel geschickt durch den Kirchenbann
Für Totschlag, Aufruhr und Ketzerei
Und vom König erklärt für vogelfrei.

Seitdem ich Lasse, den Domherrn, macht´ kalt,
Da jagte man mich wie den Wolf im Wald,
Doch alles, was die Häscher gefunden,
War die Kutte des Mönchs, der verschwunden.
Ein halsstarriger Mönch, zu Bösem nur klug,
Holt ich insgeheim mir manchen Krug
Aus meines Herrn Abtes Tonne
Und sündigte gern mit ´ner Nonne.
Mit eisernem Arm und stählernem Bein ,
Schlug ich Tagediebe im Wirtshaus klein,
Nach Weibern und Geigern bloß frug ich
Und Lasse, den Domherrn erschlug ich!

In Fremde und Elend ich reuig mich fand,I
Ich lebte von Trebern im fernen Land,
Die den Schweinen zu schlecht gewesen,
Wie in der Vulgata zu lesen.
Doch war ich nicht ganz in Beelzebubs Hut,
Auch wenn er schlecht ist, der Mensch ist gut.

Ich irrte im tosenden Sturm einher,
- Wie der Kahn, der schlingert, gepeitscht vom Meer,
Und endlich doch von den Klippen leck,
Zum Strand wird geschleudert mit losem Verdeck -
Doch lässt sich aus Strandgut und Stücken
Dies alles noch heilen und flicken.

In ein schwarzes Verlies hat man mich gesetzt
Und wie von Bestien ward ich gehetzt,
Die blutgeil die Beute zerreissen
Und fetzen und nagen und beißen.
Sie lehrten mich Todsünde, Tücke und Haß,
Und Bitterkeit trank ich und Galle ich aß,
Ich fühlte verkauft mich und tot und kalt,
Verfallen an des Satans Gewalt,
Meine Hölle war denen ein trautes Heim,
So ging ich dem Haß auf den Leim.

Doch des Wassers Fall und des Waldes Chor,
Und wenn morgens rot die Glut glimmt empor,
Der Regen und seine Lieder, die gaben die Liebe mir wieder.
Der Tau und der Bach und der Vögel Gesang
Der Wiesen Blumen, der Elche Gang,
Im Tannewipfel der Eichhörnchen Spiel,
Die gaben mir wieder Leben und Ziel
Und gaben mir meine Ehre und lehrten mich neue Lehre:

Es ist ja nicht wahr, was ich lernte zuvor,
Dass einer bleibt draußen vorm Himmelstor,
Denn jede Seele geht ein zum Licht
Und Böcke und Schafe, die gibt es ja nicht.
Das Gute ist keineswegs ganz so gut,
Wie selbst es sich dünkt im Übermut,
Das Böse ist keineswegs ganz so schlimm,
Wie selbst es sich quält mit verletzendem Grimm.

Drum sei der Braven Ruhm vergessen,
Beurteilen ist ein misslich´ Vermessen.

Und der hohe Herr, so in Roma wohnt,
Urteilt ganz ohne mich wie von jeher gewohnt,
Samt Mönchen und hohen Priestern,
Doktoren und klugen Magistern.
Der Herr, der da sitzt auf der Burg so hehr,
Der hat wohl Sorgen zu tragen, auch er,
Der Sorge Faust beutelt König und Graf,
Den Kaiser wohl selbst manche Sorgenlast traf,
Sie alle auf Irrwegen suchen,
Wie sollte ich solche verfluchen?

Den Menschen auf Erden das Wandern frommt,
Und niemand weiß, woher er kommt,
Und niemand kennt den Weg, den er misst,
Und niemand weiß, was das Leben ist.
Dermaleinst nach endlosem Streiten
Da dämmern wohl bessere Zeiten,
Wo keiner mehr böse und keiner gut,
Nur Menschen, vereint in der Unkenntnis Flut,
Sie reichen einander die Hände
Und helfen sich an die Strände.

Wenn man mir auch meine Ehre stahl,
Und sitz ich auch einsam im finsteren Tal
Und tagt auch nie besserer Zeiten Licht,
So will ich doch nicht klagen und hadern nicht:
Denn freudig der Vogel singt himmelan,
Am Morgen die Sonne zieht neu ihre Bahn,
Im Frühling blühn Blüten an Bäumen
Nur ich sollte nicht hoffen und träumen?

Vielleicht, wenn ein Jahrtausend verfloss
Wie Wolken hoch über Hütte und Schloss,
Wird ziehn durch den Wald ein Reitersmann,
Und bindet sein Pferd an der Birke an
Und drückt die Klinke und tritt herein
In den Brettverschlag, der einmal mein.
Und findet mein ärmliches Testament,
mit Feder geschrieben auf Pergament.

Dann sagt er : "Sieh da, sieh mal an!
Der hat es gewusst, was nun weiß jedermann,
Was kostete langen, langen Streit
Auf Erden so lange, lange Zeit -
Ein Bettelmönch, entrechtet,
Vom Kapitel in Skara geächtet.“

(Gustaf Fröding 1860-1911)

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