Singalila-Treck

Samstag, 10. April 2010

Kalkutta, Darjeeling, Sikkim II

21. März: Transfer nach Darjeeling
Der ruckelige Nachtzug von etwa einem Kilometer Länge versuchte 12 Stunden lang, uns das Fleisch von den Knochen zu schreddern.
Dabei durchschukkelte er auf 670 Kilometern maroder Trasse die Schwemmebene des Ganges. Damit man sich das auch vorstellen kann: das ist etwa die Entfernung von Ulm bis Hamburg, und zwar durch eine topfebene Plaine.
Die Sammeljeepfahrt von New Jalpaiguri nach Dajeeling versorgt einen mit mehreren tüchtigen Portionen Adrenalin. Es geht da nämlich aus der Gangesebene in die Vorberge des Himalaya. In drei Stunden über 2000 Höhenmeter rauf. Damit man sich das vergleichsweise vorstellen kann: Der Brennerpass beginnt erstens höher und endet sehr viel tiefer.
Dabei fuhr der wahnsinnige Chauffeur auf einer Art gerodeter Wildnis, die hier als Straße gilt.

Habe einen interessanten Dialogfetzen zwischen einem Idealisten und einem waschechten Amerikaner aufgeschnappt:
- “They can bomb the world to pieces but not to peace.”
- “Right so! But to peaces
.”

22. März
Vormittags die Jagd nach dem Sikkim - Permit.
Steil runter zum Magistrat zwecks Beantragungsformular, dann steil rauf zum Foreign Registrar, damit auch ordentlich Buch geführt wird, was alles wo so rumläuft, dann wieder steil runter zum Magistrat, den Laufzettel abgeben und das Permit einsacken. Rauf, runter meint jeweils 100 Höhenmeter und nicht etwa Kafkas Stiegenhäuser.
Darjeeling hatte ich mir anders vorgestellt.
Gib zu, dass dir schon beim Hören von Worten wie Mandalay oder Timbuktu irgendwie ganz anders wird, wie eben bei Darjeeling auch.
Ist das aber ein schwerer Fehler, dieses Sich – Vorstellen.
Soll man nicht machen.
Jenes Flair von Expeditionsaufbrüchen, von dem dieser Ort ehemals umweht war, ist dem Abgasgestank unzähliger, sich wechselseitig immobilisierender Jeeps gewichen. Wenn man in der Nase bohrt, erzielt man den selben schwarzen Popel wie in Kalkutta.

Ach ja, und dann diese novemberliche Friedhofsstimmung. Seltsam im Nebel zu wandeln...der hoffnungsvoll angelaufene buddhistische Tempel war natürlich dicht.
Dichter noch als der weltuntergangsähnliche Nebel, aus dem Gestalten auftauchen und wieder verschwinden, so gespenstisch wie im normalen Leben auch.

Es dichtelt in mir:

Das Ende ist bekannt.
Der Weg dahin aber unbekannt.

Oh über euch von euerem Links- oder Rechtstum
So gnadenlos Überzeugten!
Ministranten eines Dienstes ad majorem gloriam
Eines euch unbekannten Gottes!

Ich sage euch:
Das Ende ist bekannt.
Der Weg dahin aber unbekannt.

Also richtet euch gefälligst danach!

Wie der meinem Aufgeschreibsel Geneigte liest, habe ich ein hochprozentiges Kingfisher (Beer) zu viel intus.

23. März
Das Bhutia-Busta-Kloster hat keine Berührungsscheu, was andere Glaubensartikel betrifft. Eine derart bunte Mischung aus tibetischem Buddhismus und Hinduismus ist mir in solch zügellosem Synkretismus noch nicht begegnet.
Motto: Wenn es dir hilft, greife nur zu...

Mir geht da was ganz Undogmatisches auf:
Es gibt Anbeter des weiblichen Schoßes, und wieder andere beten zum heiligen Sankt Teflon, ... und die Idolproduktion ist ihrem Wesen nach unbegrenzt.
Des Menschen Gutdünken ist sein Himmelreich. Dieser schäbige Dogmatismus lässt sich weder vom Augenschein, noch durch Argumente beeindrucken. Sondern schnickt gleichgültig jedes Wissen wie Rotz vom Ärmel. What´ s in a name?

Dass alles Benannte Schall und Rauch sei, kann trotzdem nicht stimmen. Selbst unter einem ganz anderen Namen würde die normale Ausbeute eines – sagen wir mal – "memokratischen Mamitalismus" denen, die ihm ausgeliefert sind, gewaltig stinken.

Nachmittags Bummel durch die Teeplantagen unterhalb des asphaltierten Darjeeling.
Das ist da, wo es keine Plastikflaschen mit Mineralwasser - von Pepsi oder dem anderen Colakonzern - mehr zu kaufen gibt.
Kapuzinerkresse, Zimmerlinde (rot), Engelstrompeten, Magnolien und Amaryllis. Stellenweise. In Indien gibt es kein großflächiges Frühlingsereignis wie bei uns. Frühling tritt sporadisch in Einzelexemplaren auf.
Kleine Herzenserhebung.

24. – 28. März: Singalila - Treck
Transfer zum Ausgangspunkt Maneybanjyang.
Habe dort einen Guide zu nehmen. Denn der Treck führt an der indisch-nepalesischen Grenze entlang, und nur der Guide sichert dem Wanderer unbehelligte Grenzverletzungen in beiden Richtungen.
Die Idee des Trecks war: ich schwinge mich über die Höhenrücken nach Norden zur Grenze von Sikkim, linkerhand die schneebedeckte Kette des Himalaya vom Mount Everest bis zum Kangchendzönga. Wäre das durchaus ein Ding gewesen, wovon man noch den Enkelchen hätte erzählen können.
Stellte sich aber heraus, dass das Unternehmen fast zu der Nichtigkeit eines netten Einfalls zusammensank: Fünf Tage Schinderei in einer Waschküche.
Nach den ersten 1000 Höhenmetern, in Tumling kann ich mir auf einem Poster anschauen, wie schön der Kangchendzönga von hier aus wäre.
Zur Friedhofsatmosphäre passt die Totenzeremonie, die von fünf Mönchen in einer Wohnung zelebriert wird, mit einer Art Alphorn und einer weißen Seidenrolle. Ohne dieses rückversichernde Ritual würde die herumirrende Seele wohl nicht dort hinfinden, wo sie hingehört.
In Gairibas kommt dann mal wieder alles zusammen.
Zitterschauer im Schweiße meiner Erschöpfung, in Decken, die deutlich nach nassem Hund ganz hinten riechen. Neben meinem Bretterverschlag (Zimmer) ist die reichlich genutzte Toilette der einzigen Lodge hier an der Grenze.
Die Matratze ist steinhart und wird mir die Hüftknochengegend hübsch einbläuen.
Das Kissen wurde seinerzeit mit Sand gefüllt.
Im Stockwerk drüber randalieren zwei Besoffene zum großen Vergnügen der restlichen ´locals´.
Aus dem Küchenstockwerk darunter dringt der Qualm der offenen Feuerstelle und arbeitet ätzend an der Förderung meiner Bronchitis.
Das einzige Gute: es ist und bleibt draußen, was da so regnet und stürmt.

Und das alles ohne den Sauerstoff eines Buches, der einen vor geistiger Ödembildung schützen könnte.

25. März
Über Kalapokhari (= black lake) durch weiße Magnolien und rote Rhododendron – Bäume nach Sandakphu (3 636).
Schon um 10 Uhr trübt sichs wieder ein, und mein Panoramaweg zeigt nur noch die Naherlebnisse der Seidelbastbüsche.
Geneigte Freunde meines Aufgeschreibsels: ihr habt nichts verpasst.

26.März Schöner Tag.
Über klassisches Weideland nach Phalut (3600 Meter).
Ich verteile ich mich begeistert von hier bis nirgendwo.
Immer dran denken: Suche ist keine Finde.

Man hätte ja den abendlichen Reis mit Linsen zum candle-light-dinner ausgestalten können... aber nein, es blieb wie üblich bei der Feuerstelle als einziger Lichtquelle.
Nach der stürmischen, durchhusteten Nacht um 5:40 Uhr ein Sonnenaufgang mit Kangchendzönga.
Also da habt ihr aber nun wirklich was verpasst!

Da oben sollen also die Götter wohnen.
Und wenn man dieses von keinem Menschen je betretene Reich aus Schnee und Eis so sieht, dann lokalisiert man unschwer alle Suche des Menschen nach dem Ort seiner Sich - selbst - Unbekanntheit genau dort oben.

27. März
Halbtot nach der zweiten - so gut wie schlaflosen - Nacht.
Body an Zentrale:
„Weißt du eigentlich, was du da machst? Hast du noch alles im Griff? Ich mache ja sonst alles gutwillig mit, aber langsam kommen mir so meine Zweifel, ob nicht besser ich das Regiment hier übernehmen sollte.“.
„Mach doch, mach doch! An mir sind noch ganz andere gescheitert.“
„Na ja, was geht das mich an. Das geht mich gar nichts an. Es war ja bloß die Red´ davon...“

Und so sind wir beiden einträchtig diesen wunderbaren alten Porter-Weg an der Grenze zu Sikkim runtergeschwebt. Von den knorrigen alten Zauseln von Bäumen in der Kampfzone, über einen Bambusgürtel in die Ökumene, wo die Erbsen erst knöchelhoch waren und dann in der Zeitlupe des Abstiegs sich hochreckten zu Blüte und Frucht.
Das Gehen in den Vorbergen über 3000 Metern hat was Besonderes. Es ist schön warm und es weht einen über die Weiden.
Kein Zaun!
Die einzige Grenze bist du selber. Und so schlenkerst du deine Beine immer hübsch an der Hindernisgrenze entlang: autark. Das Entscheidende und Durchschlagende in der Angelegenheit bist du, und nicht die Durchschlagskraft deines Geldbeutels.
In den Tälern drunten ist mit deiner Geburt schon alles entschieden. Der Arier blickt auf den Adivasi herab, der Adivasi auf die Fremdarbeiter aus Tamil Nadu usw. in den Rassismen, die dem Einzelnen als dessen Naturqualität zur Last legen, was sie an ihm verbrechen.

Während der verfallene Porterway an der nepalesischen Grenze größtenteils auf die parallele Jeep-road zurückgreifen musste, und damit der Charakter des Trecks grundlegend verändert ist, bleibt hier die „lange Zeit“ der entlegenen Gebiete erfahrbar.
Solche Wege sprechen in jedem von Menschenhand gesetzten Stein von den bedachtsamen Jahrhunderten vor uns, die keineswegs ausgerechnet auf uns als Sinngebung ihrer Tätigkeit gewartet haben.
Der Finalitätskonstruktion jedes christlich inspirierten Geschichtskonzepts wohnt die Grausamkeit inne, dass auch die nächste Generation nur als verfehlter, oder eingeholter Sinn zugelassen ist.

28. März
Schildere ich mal zur Abwechslung ein bisschen den Transfer zurück vom Treck nach Darjeeling.

Dass die Berge aber auch so steil sein müssen!
Ein menschliches oder technisches Versagen, und man kommt mehrere hundert Meter tiefer als gut durchgerührtes Mus unten an. Die meisten Verkehrsunfälle gehen übrigens auf das Versagen der Bremsen zurück.
Dem Fahrer des 14 Personen enthaltenden 10-Personen-Jeeps muss Ähnliches durch den Kopf gegangen sein, als er gleich hinter einer schwanken Hängebrücke aus Holz anhielt, um sich im Dorf Lodohna einen riesigen Mutternschlüssel zu besorgen. Die Insassen des Jeeps verteilen sich derweil in der näheren Umgebung.

Aufbocken, Rad ab, Radaufhängung ab, Auseinandernehmen der Kugellager und deren Schmierung...usw.

Derweil widme ich mich der Besichtigung der örtlichen Sehenswürdigkeiten. Ein Hahn stolziert auf der Dorfstrasse hin und her. In Wahrnehmung seiner Pflichten bestiftet er in den 2 Stunden Reparaturzeit sieben arglos herumpickende Hennen. Eine kesse Taube, die vor ihm aufreizend herumscharwenzelte, würdigt er wohl einer längeren Überlegung, entscheidet jedoch schließlich, dass die nicht zu seinen Amtspflichten gehört.

In einem der Geschäfte, deren Ladenfront aus Luft besteht, haben sich munter zwitschernde Schwalben eingenistet und dulden die Gegenwart von Menschen und unbrauchbarem Gemüse, buntem Papiertütenzeugs und Stoffballen.

Das also waren die Highlights von Lodohna.

Mittlerweile schlossen auch andere Jeeps auf. Einem entquollen 2 erboste Leipziger, die sich für 1300 Rupien pro Tag unter einem "privaten Jeep" etwas anderes vorgestellt hatten, und ihrem Anspruch auf "privatness" auch Recht verschaffen würden oder zumindest Preisreduktion!
Typische Deutsche, das. Die lassen einen alten Opa im Bus stehen, weil ihre Göre genau das selbe gezahlt hat und deswegen einen Anspruch auf einen Sitzplatz hat. Geld - Leistung - Recht. So schlicht ist der Rechtschaffene gestrickt.
So ganz anders die Mitreisenden, die den Eindruck machen, sie hätten sich zu einer längeren Reise entschlossen, und da gibt es viel zu erleben und zu lachen.
Der Fahrer z.B. hängt sowieso mit einem Drittel seines Oberkörpers aus dem Fenster rechts, neben sich drei weitere Fahrgäste. Steuert also mit der Linken den Wagen, während er mit der Rechten fast ununterbrochen mit dem Handy arbeitet. Damit erledigt er nämlich sein Transportunternehmergeschäft. Mit der dritten Hand bohrt er in der Nase, pfeift sich eine Tüte Betelnüsse ein oder zündet sich eine Zigarette an.
Gelegentlich unmotiviert scheinende Stops betreffen die An- und Ablieferung von Frachtgut, das zwischen den Beinen der Mitreisenden hervorgewühlt oder dazwischen verstaut wird. Wenn weit und breit keine menschliche Behausung zu sehen ist, handelt es sich um den Stop an einem Natur- "Urinal".
Bei der Gelegenheit entdecke ich drei weitere Reisende oben auf dem Dach des Jeeps. Später wird noch ein weiterer auf der hinteren Stoßstange mitfahren.
Das alles ist hochinteressant und aus den Schwätzchen des Fahrers mit seinen Geschäftsfreunden und begegnenden Jeepchauffeuren erfährt man doch wenigstens etwas, das dann gebührend beredet werden muss.
Man macht also eine Reise im Bewusstsein, dass das Ziel feststeht und auch gar nicht vermeidbar ist. An die Erbringung einer Dienstleistung mit Rechtsanspruch laut Gewerbeordnung, Paragraph sowieso, usw. denkt hier keiner.

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