Hekayat und Makamen

Sonntag, 9. Mai 2010

Nickeligkeit

Er verbannte die Spiegel aus seinem Wohnbereich.
Seinen Reflex im Auge der Geliebten ignorierte er.
Keinen einzigen seiner zahlreichen - schon bei Lebzeiten erscheinenden - Nekrologe las er.

Die wechselnden Namen der Dinge ließ er von Archivaren horten, und widmete seine Tage dem Studium der Relationen, in die sie eintraten, ohne je etwas anderes zu sein als immer nur sie selbst.

Er war ein Verrückter.
Er war ein Wissenschaftler.
Er war ein Anarchist.

Samstag, 8. Mai 2010

Offener Schluss

Küste. Sandstrand.
Da drüben sitzt, halb liegend und mit dem Kopf beiseitegekippt ein vor Müdigkeit in sich zusammengesunkener Mann.
Halt nein, beim Näherkommen ist das ganz einfach ein phantastisch in sich gedrehtes Stück Treibholz.

Es ist also nicht die Phantasie, die uns einen Streich spielt. Die „Phantasie“ hatte die Natur, die mit dem zufällig Vorgefundenen spielte.
Worauf hingegen absoluter Verlass ist: die reduktionistische Arbeit des menschlichen Geistes, der in seiner unglaublichen Primitivität alles, aber auch wirklich alles Unbekannte auf ein ihm längst Bekanntes zurückführt.

Der formal offene Schluss der minimalistischen Kurzgeschichte ist demnach gar keiner. Jede beliebige Interpretation beweist, dass die fehlenden sieben Achtel des Eisbergs verlässlich in die moralische Botschaft aufgelöst werden, und wo sie eigentlich auszuschließen wäre, als das anzumahnende Desiderat zu lesen sei.

Man mache die Probe aufs angeregte Exempel bei den short stories der heutigen Abendnachrichten.

Dienstag, 13. April 2010

Objektivismus

Albert Einstein bekennt in "Mein Weltbild": “Nach dem Sinn oder Zweck des eigenen Daseins sowie des Daseins der Geschöpfe überhaupt zu fragen, ist mir von einem objektiven Standpunkt aus stets sinnlos erschienen.“
Sein ihn ehrender Objektivismus übersieht dabei großzügig, dass genau dies den Unsinn der Sinnsuche seiner Kollegen ausmacht, der sogar noch nach dem Sinn des Drecks zu unseren Füßen fahndet, und zu diesem Zweck freiwillig bei den Polizisten der Naturphilosophie einsitzen geht.

Offenbarungsreligionen
Gott eilte jenen offensichtlich medial veranlagten Männern persönlich zu Hilfe, denen es dermaßen gründlich misslungen war, uns etwas weiszumachen.

Offene Gesellschaft
Besteht aus Leuten, die es gern beliebig hätten, sich aber sofort unwohl fühlen bei Beliebigkeit.

Verantwortung
Schon vor langer, langer Zeit gab es einmal zwei Büder.
Die waren von ihren Eltern zu verantwortungsvollen Menschen erzogen worden. Der Mensch ist ein care-taker, einer, der Fürsorge zu tragen hat für sich, das zu mehrende Seine und die Seinen, hatte man sie gelehrt.
Und so ging Kain hin und sorgte umsichtig für seine Herden, Sorge tragend voller Verantwortung für die Mehrung von Mensch und Vieh.

Aber auch sein Bruder Abel stand ihm in verantwortungsvoller Fürsorge in nichts nach. Er gärtnerte und landwirtschaftete den lieben langen Tag und mehrte sich und das Seine.

So musste es - früher oder später - dahin kommen, dass vor lauter care-taking beim Mehren die beiden über eine Wasserstelle Ärger bekamen. Kain brauchte das Wasser für das Tränken seines Viehs, wie Abel sich über seine von Kains Vieh zusammengetretenen und weggefressenen Gräslein und Kohlköpfe ärgerte.

Wer schließlich aus lauter Fürsorge, care-taking und Verantwortung wen erschlug, ist ziemlich gleichgültig.

Jeder verantwortungsvolle Western belehrt und bis auf den heutigen Tag, dass die Lösung dieses alten Wasserstellenproblems nicht in der kommunen Beschaffung von Wasser und Wasserzugang für beide besteht, sondern im schnelleren Ziehen der Waffe.


Persönliches:
Ähmmm, ich mach mich schon wieder mal vom Acker. Diesmal nach der Westtürkei hin.
Wer meinem Geschreibsel was abgewinnen kann, der findet erst ab 25. huius wieder Ergötzliches.

Donnerstag, 11. März 2010

Harmoniebedürfnis

Nicht enden wollender Krach im Kinderzimmer.
Die genervte Mutter steckt kurz den Kopf rein: „Jetzt vertragt euch doch endlich mal.“
Die Kinder, die bislang der Ansicht waren, dass sie miteinander was auszumachen hätten, sehen sich fragend an.
Und machen einmütig - bei wieder geschlossener Tür - mit einem ihrer ausgestreckten Zeigefinger eine Drehbewegung an der Schläfe:
„Die spinnt doch.“.

Kannibalismus
Es gibt eine geschichtlich überlieferte Moral der politischen Klassen, und über das Menschenfresserische daran hält sich schon der älteste Text unserer Zivilisationsgeschichte, die Klage eines ägyptischen Bauern herzbewegend auf.

Es gibt eine ihr korrespondierende - und sorgsam betreute - Moral der unbegrenzten Leidensfähigkeit, die alles an Menschlichem in sich reinfrisst, was ihm auf den Tisch geknallt wird.

In beiden Fällen ist Vegetarismus ein sehr bekömmlicher Ausweg.

Samstag, 6. Februar 2010

Ausfahrten

Als Camoes, der Dichter des portugiesischen Nationalepos, mit eben dieser Feier heroischer Welterschließung nach Lissabon zurückkehrte, erinnerte sich am Hofe keiner mehr, noch nicht einmal seines Namens.
Sieben Jahre Gestank ungewaschener Männer, das Jucken und Scheuern des Salzes zwischen den Schenkeln, nur die Läuse entbehrten nichts in der tropischen Feuchte von Goa bis Macao.
Und jetzt dieser König, abgestumpft von Frauen und Prälaten!

Wo der Feind an den Grenzen liegt, die Pest herrscht, Erdbeben drohen, man das Volk unterdrückt, Kloster auf Kloster stiftet und Ketzer umbringt, da bleiben für das Heldengedicht nur Hohn und eine später gestiftete Erinnerung.

Oder Jacob van Roggeveen, der mit wenig Sitzfleisch Behaftete!
Auf der Suche nach der Terra Australis entdeckt und benamst er 1722 die Osterinsel Rapa Nui.
Den gefährlichen Zug durchs Unbekannte besteht er und kehrt verwundet und krank nach Batavia zurück, wo die Niederländische Ostindienkompanie ihn anklagt, ihr Handelsmonopol verletzt zu haben. Er wird arretiert und seine Schiffe werden beschlagnahmt und verkloppt. In dem folgenden Rechtsstreit, der mit einem Vergleich endete, erhielt er jedoch eine Entschädigung und seine Mannschaft doch noch den ausstehenden Sold.
Gründlich bekannt gemacht mit der Prioritätensetzung hienieden fasste er schon früh eine Vorliebe für einen mystisch angehauchten Spinozismus und tat sich als Herausgeber des vierten Bands der Werke Pontiaan van Hattems hervor.
Er hatte Glück: man steckte ihn nicht wie andere frühe Aufklärer ins Irrenhaus, aber wer spricht schon mit einem gottlosen Narren, der von der Kanzel niedergemacht wird?
Daß es ihn überhaupt gibt, erfährt Jacob van Roggeveen auf seinen Spaziergängen durch Middelburg an den vorsichtig zurückgezogenen Gardinen der ihn Belauernden.

Mittwoch, 6. Januar 2010

Interesse des interessierten Denkens

Eine alte Geschichte....ähhh, nicht alt, klassisch.

Der Zahnarzt Strouthion musste dienstlich in eine andere Stadt und mietete sich dazu einen Esel. Der Eigentümer dieses Esels begleitete Strouthion auf dessen Weg, weil abgemacht war, dass er dann das Tier vom Zielort allein zurückreite.

Auf der Reise war es sehr heiß, die Sonne brannte vom Himmel, und als lange Zeit kein Baum in der Nähe war, stieg Strouthion ab und legte sich in den Schatten, den der Esel warf.
Doch der Eseltreiber protestierte. Er habe nur den Esel vermietet, nicht aber dessen Schatten; dieser koste extra.
Der Schatten gehöre doch wohl in jedem Fall zum Esel dazu, hielt Strouthion dagegen.

Und so tauschten sie mancherlei Argumente im anschließenden Streit um des Esels Schatten...bis auf den heutigen Tag.

Donnerstag, 31. Dezember 2009

Ishmaels Vermächtnis

Ishmael, der auch am neuen Ort gerne – und sehr unbefriedigend - mit dem Reichtum des vielsinnigen Wortes und der Kahlheit der symbolfreien Bedeutung spielte, wurde des öfteren auf folgendem Kalauer angetroffen:
Der Tod wäre gar nicht weiter schlimm, wenn er nicht gleichzeitig eine Trennung wäre.“
-„Und was, o Hodscha, meinst du damit?"
-„Wenn ich das wüsste, müsste ich nicht so saudumm daherreden. Sag du mirs.“
…..
- „Chrrrrmmm, da wir gerade dabei sind,“ räusperte sich respektvoll einer seiner Schüler „oh Hodscha, wo sollen wir denn – Allah möge es verhindern! – aber wenn doch...wo möchtest du begraben sein?“
-"Wenn ihr mich wiederfinden wollt, dann begrabt mich am besten überall.“
- „???“-
-„Ein Leben lang habe ich nach mir gesucht und mich nicht gefunden.
Wie solltet ihr sonst einen, der nicht das Geringste von sich gefunden hat, jemals - und wozu überhaupt - wiederfinden?“

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Ishmaels Credo

Ishmaels Entschluss, sich nachhaltig anderswohin zu verfügen, war richtig.
Unvorbelastet durch den Zwang, wiedererkennbar zu bleiben, konnte er am neuen Ort sich der Unlösbarkeit von Fragestellungen widmen, die ihm auch am Herzen, aber den damit Belaberten bei weitem nicht so nahe lagen.
Erst neulich äußerte er sich äußerst enigmatisch, um nicht zu sagen kryptisch, ...um nicht zu sagen, dass der Kerl sich mittlerweile außerhalb jeder journalistischen Befassungswürdigkeit bewegt. Da wird er wohl bald sehr isoliert dastehen.

Als Biograph der merkwürdigen Gänge und Gedankengänge dieses merkwürdigen Geistes, der – kaum dass er das Licht der Welt zwischen den Schenkeln seiner Mutter erblickt hatte – durch ein riesiges Protestgeschrei aufgefallen war, halte ich es mit vorläufiger Urteilsaskese.
Man sehe selbst.
Ishmael sprach sich am neuen Ort oft gegen grundlose Selbstbeschränkungen im Geistigen aus.
Das war irgendwie nichts Neues. Aber wie so ganz anders hörte sich das neuerdings an:
- „Was ist schon ein Turm des Glaubens ohne den Brunnen des Wissens? Ist doch ein Turm ein auf den Kopf gestellter Brunnen. Ihm fehlt nur das Wasser.“

Dienstag, 22. Dezember 2009

Erkenntnisphilosophische Fabel

Ein Käfer beobachtete verwundert einen Tausendfüßler.
Er fragte ihn: „Sag mal, wie machst du das, diese vielen Füße im richtigen Moment zu bewegen“? Der Tausendfüßler begann zu denken.
Das hätte er lieber nicht tun sollen. Er kam kaum mehr vom Fleck, ein einziges Desaster!

In seinem Unglück fiel ihm - Gott sei Dank - eine verstaubte Schwarte in die Hand mit dem Titel: „Der Geist als Widersacher der Seele“. Er faltete genüsslich die Beinchen und zog sich den lebensphilosophischen Streifen rein.
Genau wie bei mir! Das ist ja genau wie bei mir“, musste er unentwegt denken.
Andererseits, und jetzt doch ein wenig verärgert: „Soll das etwa heißen, dass ich auf den bloßen bewusstlosen Vollzug angewiesen bin?“
Das Entsetzen über diesen Zusammenbruch seines Selbstbilds ließ ihn einen gewaltigen Satz in die Luft machen. Er kam auch eher zufällig wieder heil auf die Beine.
Das werde ich üben“, freute er sich - noch humpelnd, aber schon fast hüpfend - über den freien Gebrauch seiner Gliedmaßen.

Und weil er konsequent und kontinuierlich die Koordinierung seiner Motorik trainierte, feierte er schon bald rauschende Triumphe am Broadway mit seinem Ballett „The Age of Centipedes.“

Montag, 21. Dezember 2009

Ishmaels Verschwinden

Ishmaels Ruf als weiser Hodscha zog seine Kreise.
Das wurde auf die Dauer schwer erträglich. Da es ihn nun mal gab, kamen Krethi und Plethi, um sich bei ihm Rat zu holen. Auch in Dingen, die sie sich selbst durchaus zufriedenstellend hätten beantworten können.
Eine seuchenartig sich verbreitende Gedankenlosigkeit resultierte aus der Institution Ishmael.
Und es hätte nicht viel gefehlt, und die Hausfrauen hätten sich bei ihm erkundigt, was sie denn heute zum Mittagessen kochen sollten.
Ishmael ging mit sich selbst zu Rate und entdeckte, dass seine pure Existenz als Experte zu einer allgemeinen Geistesaufweichung, und damit zu mehr Schaden als Nutzen geführt hatte.
Und er sagte mehrere hundert Male: “Die meisten Probleme, die ihr mir vortragt, sind beim Gebrauch eures eigenen Kopfes lösbar. Wenn ihr so weiter macht, und nicht mehr euerer eigenen Einsicht vertraut, werdet ihr schließlich zu Beute und Raub von allerlei überpersönlichen Mächten.“
Und weil er das nicht wollte, ging er hin und verfügte sich dauerhaft an einen anderen Ort.

Und wenn er nicht gestorben ist, lebt er auch heute noch in jedem von uns.

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