Samstag, 21. Februar 2009

Ägyptenreise.

Oder: Schnüffeln am Essentiellen,
hastig hingeschmiert auf Ostraka.

„...man wird aller Weisheit überdrüssig, außer der, die alle
Weisheiten Lügen straft.“
(Nagib Mahfuz: Das Hausboot am Nil)

Ägyptische Kultur – das sind mehr Jahrtausende vor Christus als wir seit Christus zusammengebracht haben.
Grund genug, mal hinzuschauen, weil ganz offensichtlich in diesem Raum Sinnstiftungsmethoden ersonnen wurden, die in Abschattungen bis ins Christentum tradiert wurden. Den Rechtfertigungsdenkern ist dieser Traditionszusammenhang gewöhnlich ein Anlass zu einem „Siehste!“ Die von ihnen postulierte Notwendigkeit allgemeiner Spiritualität könnte aber genauso gut sich dem Elend verdanken, das sich nach Selbstbefriedung gegen aufkeimende Rebellionsgelüste umsieht. Auch Kompensation mag gelegentlich den Ausschlag geben.
Man nehme bloß mal das mit der Seelenvorstellung. Sie entsteht aus dem schlichten Gedanken, dass dem da liegenden Toten etwas fehle, was vorher da gewesen sein müsste. Dieses nunmehr Fehlende nennen die Priester Seele (Ba).
Dabei fehlt da gar nichts! So tot einer in seinem Leben auch gewesen sein mag (ohne Ba zu Lebzeiten), so sehr war er doch ebendies, was er jetzt als Leichnam nicht mehr sein soll: ein Dies - Da, und kein Die Zwei Da.
Und weil das falsche Denken immer ein wenig langweilig ist, hier zur Abwechslung ein einführender, ernst gemeinter Scherz. Das mit der Wiederauferstehung (Wiedervereinigung der Seele mit dem Körper) erscheint mir gänzlich unproblematisch. Sah ich doch selbst wie in Las Vegas Elvis um die Ecke bog, dessen Ableben wir seit Jahrzehnten betrauern.
Und Jesus - Inkarnationen gibt es in jedem Jahrhundert mindestens eine.

Was einem auch auffallen könnte: die Einfältigkeit der Bildprogramme, die durch die Jahrtausende immer wieder die selben Unglaubwürdigkeiten mit der Ästhetik des Erhabenen auf den Daherkommenden einbrüllen. Es wird wohl unumgänglich zu Bemerkungen zu und Seitenblicken auf die fatalen Wonnen der gestalteten Erkenntnis kommen.

Denn der Skeptizismus ist keine Erfindung der neuzeitlichen Aufklärungsliteratur, sondern schon fester Bestandteil der nicht religiösen Literatur des Mittleren und Neuen Reiches. Dort werden die in unterschiedlicher Form beschriebenen Jenseitsvorstellungen von einem Jenseits am Himmel oder unter der Erde, die Idee vom Toten - Gericht und von der im Jenseits weiter wirkenden Seele schlicht abgelehnt. Der Fortdauer im Jenseits wird eine Fortdauer im Diesseits gegenüber gestellt, etwa in der Abfolge der Generationen oder in der Erhaltung des Namens.
Materialismus als Weltanschauung begleitet das Showbusiness der Priesterkaste von Anfang an.
Leseanweisung: Dies ist eine Kundgabe schöner Kenntnisse, und eben nicht als Empfehlung eines Standpunkts zu verstehen.

03. 02. 2009 Kairo
Abflug von Frankfurt verspätet.
Bangen um Anschluss in Genf. Dort alle Computer zusammengebrochen. Doch, Hamdullillah, der Flug nicht gecancelt, bloß verschoben.
Ärger mit den Taxifahrern am Flughafen in Kairo, die alle dich fahren wollen, und du bist doch bloß einer, der für alle die gerade stehen soll, die gerade nicht da sind, um den Taxifahrern die weit offen stehenden Taschen füllen zu können, um sie glücklich zu machen.

Heute dann das Ägyptische Museum. Merkwürdige Erfahrung, diese Jahrtausende, die da rumstehen, und mit dir reden wollen. Viel Vernünftiges dabei. Siehe den „Schreiber“ oder den „Dorfschulzen“. Beruhigend zu sehen, dass an der Geschichtsjenseitigkeit von Würde nicht herumgegrapscht werden kann. Dies ist das Maß, an dem alle schamlose Aufgeregtheit der Herren und Knechte seit jeher zuschanden wurde.

Der Toten- und Herrscherkult ist mir aber doch irgendwie zu heavy. Schließlich ging es ja keineswegs ab ohne die Hunger - Aufstände gegen die Pyramidenbauer. Und so meldet das Schwarzbuch der Geschichte, dass in diesen Fällen auch keine funktional eingesetzte Staatsgötterei mehr nützt:
Weil aber Hunger und Gewalt herrschen, erfüllt Weinen und Seufzen das ganze Land. Die Bilder der Götter werden zertreten...Das Volk rühmt sich offen seines Unglaubens. Sie hören auf, Rauch- und Tieropfer zu bringen. Heiligtümer werden geplündert, Leichen aus den Gräbern geholt, der alte Glaube ist krank geworden. Die Priester haben ihr Ansehen verloren..“
Zurück zur Gegenwart. Noch ernähre ich mich vorläufig lieber aus den mitgebrachten Aldi- Vorräten. Der Dreck und der Lärm ist halt schon schockierend, und man muss dauernd Ekelattacken niederkämpfen.

Gut, dass den hiesigen Islam - Anhängern das Betteln irgendwie nicht erlaubt scheint. Dafür halten sie die Hand für jede dir angediente Dienstleistung auf. (Nachträgliche, sichere Erkenntnis: Ägypten ist für den einzelnen Reisenden vom einen bis zum anderen Ende ein unendlich scheinendes Defilé aus Handaufhaltern.)
Inzwischen habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich werde doch mit Bussen über die Oasen der westlichen (Libyschen) Wüste nach Luxor fahren und nicht mit dem Nachtzug am Nil entlang.

Mittwoch, 04. 02. Gizeh
Während du dir zuhause den Arsch abfrierst, sitzen diese irgendwie komisch aussehenden Leute (Nubier, Beduinen und Kopten) in und an den Cafés auf der Strasse, rauchen ihre Wasserpfeife und lassen es sich gut gehen. Schon am hellerlichten Morgen.
War ziemlich heiß heute. Deswegen die Pyramiden (viel größer als man sie sich vorstellt) von Gizeh nur vormittags abgelatscht. Flüchtete erstmals in ein „Kentucky Fried Chicken“ wegen der Klimatisierung, und ich genoss die Sphinx und die Pyramiden dahinter ein Weilchen von der Zivilisationsoase aus.
Der Verkehr ist halt das übliche nervige Drittwelt-Gewusel. In Gizeh aus der Metro steigend stößt man auf drei bis vier Spuren von Autokolonnen, die eifrig bestrebt sind irgendwie stadteinwärts zu kommen. Die, welche ihren Irrtum eingesehen haben, dass es da nichts gibt, was ein längeres Verweilen rechtfertigen könnte, eilen auf ebenso vielen Bahnen stadtauswärts. So ist die Lage. Und du musst auf die andere Seite, um einen Minibus zu den Pyramiden abzufangen. Also bekreuzige dich und nimm die Beine in die Hand.
Vier Bahnen Autos, wo nur drei vorgesehen sind. Kommen noch zwei Reihen dazu, die dauernd zugeparkt sind, weil es in Kairo keine offiziellen Parkplätze gibt. Ein Beispiel für das erwartbare Resultat: gestern Abend war ich beim Friseur. Wie ich als Verschnittener rauskomme, so nach 20 Minuten, ist immer noch Stillstand das Verkehrsprogramm.
Die Fußgängerei findet ebenfalls auf der Strasse statt, denn der Bürgersteig ist von Motorrädern, Flaschenkisten, Kleingewerbe, Müllhaufen oder gelegentlichen überaus wohlgenährt einherschlendernden Ägypterinnen zweckentfremdet. Es macht einfach keinen Sinn, stur darauf zu bestehen, auf dem Bürgersteig gehen zu wollen. Irgendeiner hat bereits fünf Meter weiter einen Grund gefunden, warum hier kein Bürgersteig sein soll, sondern der mit Autoreifen vollgepackte Vorhof seiner Autowerkstätte. Oder irgendwelche Stützbalken verhindern nicht nur dein Vorankommen, sondern auch das Herabfallen eines Balkons auf dich Passanten.
Nachmittags dann das islamische Viertel von Kairo. Schöner, schöner Orient, vor allem im nördlichen Teil. Bin auf eins der Minarette des Bab Zuweyla mehr gekrochen als gestiegen. Welch ein Aus-Blick!
Wenigstens bis zu dem Augenblick, wo du den Blick senkst und die Müllhalden entdeckst, zu denen die Nachbarn wechselseitig ihre respektiven Flachdächer gemacht haben.

05.02. Koptisches
Die ganze Eremitenbewegung und die assortierte Klosterkultur haben wir den ägyptischen Christen zu verdanken. Und dass die einen eigenen Papst haben, liegt überhaupt bloß daran, dass die Christenheit sich im 4. Jhdt. nicht einigen konnte, ob Christus nun Gott und Mensch zugleich oder wesensgleich gottmenschlich sei. Ich enthalte mich ostentativ jeglichen Kommentars darüber.
Ästhetisch sehr einnehmend, was in Alt-Kairo an Kirchen so rumsteht. Nur der Lärm der gegeneinander an brüllenden Fremdenführer geht auf den Geist, der lieber etwas "meditieren" möchte. Hier soll übrigens die Heilige Familie auf ihrer Flucht nach Ägypten Station gemacht haben.
Im ruhigen Ambiente des Koptischen Museums stolpere ich über eine hübsch gemalte Fabel aus ganz frühen Tagen: die Mäuse kommen bei der Katze um Frieden ein. Mit Fahne und Geschenken. Köstlich. Die Fabelkultur hier scheint ihren Ursprung im pharaonischen Gewaltverhältnis gehabt zu haben. Mal drüber nachdenken.

Anderes Denkwürdiges: schon in den ersten Jahrhunderten gibt es eine reichlich durchsichtige Symbolik der Herrschaft.: Da hat ein Adler die eine Klaue in ein Füllhorn gekrallt, und in der anderen hält er einen blühenden Ast mit Laub und Früchten.
Herrschaft als Voraussetzung von Wohlstand? Im Bewusstsein der Macher allemal. Es sieht aber für den unbefangenen Blick eher so aus, als ob sich dieser raffgierige Geier die guten Sachen einfach genommen hat.

Und dann gibt es noch Relikte aus der Verehrung eines populären Heiligen namens Menas (Abu Mina) zu besichtigen. Hunderte von zwei - henkligen kleinen, handtellergroßen , runden Flachmännern aus gebranntem Ton mit dem Oranten Menas (in der Uniform eines römischen Soldaten) drauf. Es ist ja wahr, manche Dinge ändern sich nie, und wenn, dann nicht abrupt und schon gleich nicht endgültig. Es waren Menas’ wundertätige Gebeine, die das erste Lourdes der Christenheit schufen.

Überhaupt ist diese koptische Kunst eine Fundgrube für die Übergänglichkeit der Symbolsprachen. Hier mischen sich ägyptisch Pharaonisches mit Ptolemäisch-griechischem und anderen Stil- und Vorstellungswelten. Stark: das koptische Henkel-Kreuz ist eine Mischung aus dem ägyptischen Seelenzeichen (Ankh) für das ewige Leben und dem christlichen Langkreuz. Der weiße Ritter Georg hat hier einen frühen ikonographischen Vorläufer, einen falkenköpfigen (Gott Horus!) Reitersmann, der mit seinem Speer das Böse in Form eines Krokodils erledigt.

Nachmittags auf der Zitadelle Saladins. Der Jakobsbrunnen, an dessen Ausschachtung er auch kriegsgefangene Kreuzritter sich zu beteiligen nötigte, ist noch da. Alles andere bis hin zur Alabastermoschee, dem Wahrzeichen Kairos, ist Baugeschichte. Man hat von dort oben einen berauschenden Blick auf Kairo, und Sicht bis zu den Pyramiden von Gizeh im Dunst am Horizont. Hinreißend kommt von hin gerissen!
Wenig erfreulich das dortige Militärmuseum. Patriotismus, das Religionsangebot für Gottlose und die restlichen Heuchler.
Morgen also mit dem Bus durch die Wüste zur Oase Bahariya.

06.02. Spuren im Sand
Langweilige 5 Stunden Busfahrt durch eine Geröllwüste.
Daher heute nur eine poetische Legende:
Mir träumte, ich ginge mit Jesus durch die Wüste. Von Zeit zu Zeit waren da statt zweier Fußspuren nur eine zu sehen.
Ich beklagte mich beim Herrn: "Du hast versprochen, du werdest immer bei dem sein, der an dich glaubt, bis ans Ende seiner Tage. Es scheint aber so zu sein wie in meinem Leben. In Zeiten der Not und Bedrängnis ist da immer nur eine Spur zu sehen gewesen."
Da sagte der Herr:" Es ist, wie du geglaubt hast. In den Zeiten der Hilflosigkeit konntest du nur eine Spur sehen, weil ich dich getragen habe."
Aus dem Gedächtnis übersetzt, also so ähnlich aufgefunden, in der koptischen Nonnenkirche St. Georg.
Dies ist ein christlicher Gemeinplatz, der mehr über den Mechanismus der Krisenbewältigung sagt, als dem lieb sein kann: dich trägt dein Glaube - welchen Inhalts auch immer - drüber weg. Insofern ist es auch gleichgültig, wer nun Anspruch auf Originalität erheben darf. Diese Wahrheit über den Glauben ist so universell, dass mit Sicherheit bereits die sich Gott dünkenden Pharaonen auf diese tröstende Zusage zurückgegriffen haben.

07.02. Bawiti
Ziemlich heruntergekommen, dieser Wüstenort in der Oase Bahariya. Heruntergekommen? Da müsste er ja erst irgendwann mal irgendwo hinauf gekommen sein. Was nicht so aussieht. Nur der von einem Dauerregenfall fast zerstörte alte Kern lässt noch die alte Lehmarchitektur und ihre hübsche Bänderdekoration erahnen.

Aber: das reine Idyll eines Spaziergangs durch die Stille der Palmenhaine, die von der heißen Quelle Ain Bischmu und einer kühlen weiter unten dem Wüstensand abgetrotzt werden.. . Dieses Plötzliche des frischen zartgrünen Grases unter den Dattelpalmen und Olivenbäumen , mit Kühen drauf und diesen eifrigen Eselchen. Weiße Kuhreiher staksen und picken und fliegen dazwischen herum.
Es überfällt mich der Wunsch, in Bahariya begraben sein zu wollen, und das Gras und der Klee zu werden, das die dermaleinstigen Kühe in den Palmengärten geruhsam schnaufend verzehren.
Dies ist meine Ewigkeit, derer ich mir mit all den vernünftigen Leuten seit dem nicht religiösen Denken des alten Ägypten gewiss bin. Verstehe gar nicht, warum alle Welt immerzu eins werden will mit Sachen, die es nur in der Vorstellung gibt. Das mit der tatsächlichen Einswerderei kommt doch noch früh genug und ganz von alleine...

Am wie restauriert wirkenden Bildprogramm im Grab des ängstlichen Weinhändlers Banentius kann man sich den Zusammenhang von magischem Denken und Todesfurcht klarmachen... Den Göttern der Unterwelt wird unentwegt eingeschärft, was für ein reiner und schützenswerter Mensch dieser erfolgreiche Kaufmann doch gewesen sei...

O8. 02. Oase Dakhla
Gestern, nach dem Morgenspaziergang durch die Palmengärten von Bawiti ein langer Bustransfer in die Oase Dakhla.
Erst die schwarze, von Magma überflossene Wüste, dann die mit phantastischen bizarren Kalkgebilden prunkende weiße Wüste und schließlich beginnt rechts die Dünung des großen "Sandmeers" der Sahara und links ein rosiger felsiger Steilabbruch. Die schönste Wüstenfahrt, die man mit einem Bus hinkriegt.
Neben der Atacama ist die libysche eine der trockensten Wüsten der Welt, und wenn es schon mal irgendwo Wasser gibt, dann verdunstet da mehr pro Jahr als es bei uns regnet.
Also eine sehr interessante, aber anstrengende Fahrt.
Heute Besichtigung der Oase im Taxi, zusammen mit einem amerikanischen Psychologieprofessor aus Taiwan und zwei koreanischen Studenten.

09.02. Luxor
Urspünglich hatte ich ja ganz was anderes vor, aber Allah fügte es so - gepriesen seien seine 1000 Namen -, dass ich einen Mini-Bus nach Kharga nehmen musste, dessen Fahrer unterwegs ein Taxi ansprach, das nach Luxor direkt unterwegs war. Sonst hätte ich für den umwegigen Transfer hierher 13 Stunden gebraucht.

Diese Wanderdünen haben doch vor nichts Respekt. Die Abu Moharrik Düne, kurz vor Kharga, die sich der Nordwind nach seinem gusto auf 500 km zurechtgeblasen hat, überschreitet mit einer Geschwindigkeit von 10 Metern pro Jahr alles, was sich ihr in den Weg stellt. Man sieht das an der alten Straße immer dort, wo sie noch nicht zugeweht ist.

Konnte mir den Fahrpreis mit einer bereits an Bord befindlichen englischen Lady teilen. Die war mindestens so britisch wie Miss Sophie aus Dinner for One. Fischte die doch tatsächlich aus ihrer Handtasche einen Teebeutel für das von ihr bestellte heiße Wasser und dann auch noch ein Fläschchen mit Milch für ihren damit zubereiteten Tee: “Delicious!“

Die Hitze hier im Tal des Nil ist doch schon ziemlich drückend. Das erste Hotel (Nefertiti) war leider ausgebucht. Was ich übersehen hatte, die gutsituierten Ägypter nutzen ihre Ferien wie alle Touristen. Und so blieb mir trotz längerer Suche im Zentrum nur dies ziemlich laute und abgewohnte Hotel Venus.

10.02. Luxorieuses
Also dieses Karnak bei Luxor erschlägt einen einfach. Das Zeug steht da schon länger vor Christus herum als es nach Christus überhaupt schon Jahre gibt. Und da führten glatzköpfige Priester die Leute am Narrenseil erfolgreich herum durch mindestens zwei Jahrtausende.

Das Bildprogramm ist dementsprechend einfältig: die Pharaonen, Menschen, die den Leuten weis machten, sie seien so was wie Götter, sieht man in gewaltigen Reliefen da ewig am Opfern. Jetzt aber nicht so, dass denen dann hinterher was fehlt...wie unsereinem, wenn man sich was vom Herzen reißt. Mehr so ne Zeremonie, wo dem Gott, also sozusagen ihm selber was dargebracht wird. Schließlich muss ja einer dafür sorgen, dass auch morgen die Sonne aufgeht. Gewaltig, in jeder Hinsicht. Sowohl der Beschiss wie seine umwerfende Präsentation.

Der Tempel von Luxor, also sozusagen das Prozessionsende des heiligen Wegs, hält es mehr mit der Eleganz als Stilideal. Edel. Edel.
Aber muss denn da dauernd der Gott Atun mit seinem erigierten Prachtstück prunken, um dezent symbolisch seine Fruchtbarkeit anzudeuten, ohne die ja wohl sonst im Nil-Tal nix gelaufen wäre. Mir persönlich wäre es aber lieber gewesen, wenn man die weibliche Leibesmitte als Quelle der Fertilität zum Symbolisieren gewählt hätte.
Aber so geht nun mal das Patriarchat. Sitzt so was göttergattenmäßig kolossale 10 Meter hoch herum, und die Gemahlin reicht - im Schatten ihres Herrn - ihm gerade mal bis zur Kniekehle.

Mittwoch, 11.02. West-Bank
Bin mit einer elenden Krücke von Fahrrad die Totentempel, Prinzengräber und Privatgräber abgeradelt. Vom Fruchtland zu den roten Felsklippen als kolossale Fassade. Auch ein bisschen herumgewandert. Schön da.

Es gibt da so Aussetzer. Wo es zu biblischen Absencen kommt, die Zeit in einer Bewusstseinslücke ausgelöscht ist. Wenn der Fellache mit seiner Hacke morgens aufs Feld zieht und du ihm an der bunten Wand eines Grabfrescos, nur wenig später, wieder begegnest.

Die Prinzengräber sind teilweise so bunt und sexy wie am ersten Tage. Und das Privatgrab des Ramose mit seinen zarten Reliefs ist so schön, dass es im Herzen zieht. Vielleicht kennst du den süßen Schmerz beim Knibbeln an einem Grind. Genau so ist es bei der gestalteten Erkenntnis und ihrer erkannten Gestaltung, halt beim nicht religiös angeleiteten Kunstgenuss. Dem ist allemal eine Verletzung vorausgegangen. Aber jetzt heilt es.

12. 02. Alt-Theben
Gestern habe ich mir in Medined Habu den Tempel von Ramses II angeschaut. Der war nicht zimperlich, wenn einer meinte, er müsse sich als Feind oder sonst ein Hindernis aufführen. Die Reliefs über die Schlacht bei Kadesh lehren alle damals bekannte Welt das Fürchten. Da liegen ganze Haufen von abgeschnittenen Händen und Berge von - du liest schon richtig - abgehackten und zu fettucine - ähnlichen Haufen aufgeschichteten Penissen dem Gerechtigkeit übenden Ramses zu Füßen.

Die Königsgräber in Theben-West illustrierten das merkwürdige Interesse der Ägypter an dem, was die Sonne wohl so im Verborgenen treiben mag, wenn sie als Gott 12 Stunden einfach mal weg ist. Das ganze kann man in Totenbüchern, Höhlenbüchern und sonstigen fragwürdigen Lesestoffen nachlesen. Hier steht’ s an der Wand: die Seele (Ba) des toten Pharao macht sich mit der gestorbenen Sonne auf einen heldenhaften und höchst gefährlichen Weg durch die Unterwelt und vereinigt sich in der 6. Stunde wieder mit ihrem Leichnam, um nach der 12 Stunde wiedergeboren zu werden. Richtig ist daran, dass die Sonne tatsächlich wieder von den Toten "aufersteht."

Was also ist religiöse Kunst? Ist gestaltete Erkenntnis nicht dasselbe wie ein gemalter, gebosselter usw...Gedanke? Also defizientes Denken, das sich selbst zu Hilfe kommt mit der Leugnung, überhaupt Gedanke zu sein, um flugs einen Mythos der Wohlaufgehobenheit zu inthronisieren?
Das ist der Grund, warum sakrale Kunst gar nicht anders als fundamentalistisch daherschreiten kann. Im Diesseits der Moderne schmarotzt aus dem selben Grund gar manches Kunstprogramm gern an den höheren Weihen von hieratischen Schauern.

Freitag, 13.02: Internationale Heimatkunde:
Lektion Ägypten.
Bin ja nun schon etwas herumgekommen auf diesem Planeten. Aber Ägypten ist das Korrupteste, was mir untergekommen ist.
Heute morgen z.B.: Ich bestelle mir für zwei Pfund (= 26 Cents) Falaffel. Der Vater ruft seinem bedienenden Sohn was zu. Der macht ein ungläubig-belustigtes Gesicht. Vermutlich hat der Vater seinem Sprössling zugerufen: "Gib ihm die von gestern.!“
Woher ich das weiß? Mir wurden zehn Stück eingepackt, obwohl mir für den Preis nur fünf zugestanden hätten. Außerdem ist mir seither von den dreien schon schlecht, die ich vorsichtshalber bloß gegessen habe.

Oder in Dhakla, wo ich erst mal mit dem Minitaxi losgezogen bin. Das Taxi fährt eine Gruppe von Männern an und ruft ihr das Fahrtziel zu.
Keine Reaktion.
Weiteres überredendes Arabischgebrabbel.
Da kommt Bewegung in die Leiber. Bin mir sicher, da war durchgegeben worden: "Kostet euch nix. Der Almani hat schon für euch alle gezahlt."
Die lügen dir hier ins Gesicht, wenn es um den Abschluss eines für sie vorteilhaften deals geht, und darum geht es immer. Jede Konversation ist eine Einleitung zu einem Verkaufsgespräch. Oder gleich der Formelkram (Name, Herkunft, Hotel?), der damit endet, dass der Sprecher Geld will. Kurzform: "Hello,.. give me money." Das vergiftet jede mögliche Beziehung schon im Vorfeld, wegen des sich langsam aber sicher verfestigenden Vorurteils.
Man kann sich hier schon einbilden, man sei ein Mensch, womöglich noch ein sehr wertvolles Exemplar der Menschengattung. In der unverfälschten Scheiße der dritten Welt bist du aber nichts als "Money" auf zwei Beinen. Allah schickt die Regierung und die Touristen. Von der Regierung ist so was von gar nichts zu erwarten, die muss umgekehrt ihrerseits geschmiert werden, wenn man was von ihr will, also muss man sich an den Touristen halten. Und du zahlst immer dafür, dass du nicht das "government" bist.

Nein, das sind hier keine wohlerzogenen politisierten Staatsbürger, die mit ihrer Obrigkeit zu kalkulieren gelernt haben und enttäuschungsfest jedes gescheiterte Kalkül wegstecken. Von daher auch ihre - uns nervende - Einstellung zum Müll. Die leben hier mehr oder weniger auf Müllhaufen, denn die Reichweite des erfolgreichen Gestaltungswillens endet an der Haustüre. Jenseits davon soll sich doch das government um die alle Kanäle verstopfenden Plastikflaschen und die Batterien im Wüstensand kümmern.

Es bleibt dabei: Die Bestimmung, die dem eingebildeten Touristen zukommt, ist der Gebrauch, den man als elender Einheimischer von ihm zu machen gedenkt. Ist er nicht artig, hört man schon mal ein verärgertes: "Fuck you." hinter sich. Oder:"What are you here for?" Da sagt man dann schon mal: "Not for you."

Mir ist schon klar: die Überlebenskunst erzwingt ihre eigenen Gesetze, auf deren innovativ-kreative Ausgestaltung sich die Ausübenden dieser Kunst einiges zugute tun. Aber nur das Letztere schlägt mir aufs Gemüt.

Dieser ganze Staat hängt wie Israel am Tropf der Amerikaner, weil die damit einen zuverlässigen Militärposten im nahen Osten haben. Die politische Elite bedient sich der aus Amerika fließenden Gelder und lässt der Bevölkerung nach Maßgabe ihrer Interessen auch ab und zu mal was zukommen. Dann bleibt als Normalität also das "Jeder für sich und gegen den Touristen, und Allah für alle."
Werde trotzdem wiederkommen. Die Exotismen haben es in sich.

Samstag, 14. 02. Exotisches
Ich habe viel Zeit bis heute nacht um Viertel vor 10. Da geht mein Schlafwagenzug zurück nach Kairo. Und da schreibsele ich halt noch ein bisschen vor mich hin. Draußen ist es eh zu heiß.

War gestern noch mit dem Taxi nach Dendera ausgeflogen. Eine Tempelanlage aus der Zeit der ptolemäisch-römischen Herrschaft. Da gilt es zweierlei Aufhebenswertes sich zu merken:
1) Die grundsätzliche Ohnmacht aller Bilderstürmerei. Vermutlich irgendwelche Christen haben sich an den heidnischen Reliefs im Mammisi (Geburtshaus des Hathor - Sohnes Ihi) eifrig schändend vergangen. Nur blöd, dass den ungetilgten Umrissen immer noch – und jetzt erst recht - die Erzählung der erwachten Neugierde entzifferbar ist.
2) Wer eine Symbolwelt tatsächlich tilgen will, der tut gut daran, sie auszuhöhlen, indem man das eigene Programm dem schon Existierenden unterschiebt. Und so sieht man in der Vorhalle die römischen Kaiser Tiberius und Claudius, Augustus und Nero - als Pharaonen kostümiert – vertraulichen Umgang mit den hiesigen Göttern pflegen.

Also das mit den Exotismen, das sind z. B. die Shisha- (Wasserpfeifen) raucher in den Cafes und das Getue drum herum. Da braucht es einen eigenen Boy, der hin- und herwetzt, um das Wasser in den Ballons zu erneuern, neu Kohlen aufzulegen usw. Das blubbert dann friedlich vor sich hin, wenn mal kräftig an dem gewaltigen, verzierten Schlauch gezogen wird. Draußen radelt einer vorbei , eine Tür auf seinem Kopf balancierend, auf der Berge von Fladenbroten geladen sind. Ein Lattenrost tut es aber auch.
Um die Ecke ist ein Kafeeröster, dem man beim Umschaufeln der heißen Bohnen zuschauen kann. Die Kohlköpfe auf dem Markt sind etwa fünf Mal so groß wie bei uns. Und fast überall riecht es nach Pferd, also nach Pferdeschweiß, Pferde-Urin und Pferdeäpfeln. Denn der Personentransport erfolgt hier an der Corniche klassischerweise per Kaleschen. Selbst wenn das Pferd in das hinter ihm hängende Tuch äpfelt, der würzige Geruch verbleibt in der Luft.
Abends dann mein Lieblingsplatz am Nil. Da hat es eine von der Sonne schön durchgewärmte Marmorbank, auf der man bei angewärmten Hintern den Sonnenuntergang genießen kann. Die Mastbäume der Feluken schwanken sacht im verebbenden Abendwind. Am anderen Ufer Minarette und die Fransen des Palmenhorizonts. Darüber das Orange, das es mir nun mal angetan hat. Weiter oben fahlt das aus und geht in immer intensivere Blautöne über.
Wenn dann die Sonne weg ist, knipst jemand in Blickrichtung die Venus, den Abendstern, an, und hinter mir schießt die Beleuchtung des Luxortempels empor.
Du merkst, ich bin ein lernfähiger Nichtstuer geworden. Trete sogar der Auffassung des koptischen Papstes Kirilos VI. näher, der da meinte:" Sei du ganz friedfertig und denke nicht groß drüber nach, sondern überlasse das dem, der sich darum kümmert. " Früher hätte ich das für die blanke Unvernunft gehalten.

Sonntag, 15. 02.
Er sagte sich, es sei nicht verwunderlich, dass die Ägypter Pharao göttliche Ehren erwiesen hätten; verwunderlich aber sei, dass Pharao selbst geglaubt habe, ein Gott zu sein.“ (Nagib Mahfuz: das Hausboot am Nil)

Der Pharao ein Gott?!
Lachhaft, wo ich doch genau weiß, dass ich es bin, und es mich insgeheim wurmt, dass der Gottesbeweis noch immer noch nicht gelungen ist.

Und was lernen wir aus all dem?
Zwischen Glauben und glauben gemacht werden besteht kein Unterschied, für den zum Glauben Bereiten.
Diese Berufung auf den freien Willensakt ist nicht einfach nur eine Äonen alte Ausrede der Priesterschaft.
In einer unübertrefflich präzisen Metapher geht es im Deutschen genau so zu: Glauben schenken.

Geschenkt.


Links:
http://www.sothebys.com/app/ecatalogue/ecat.do?dispatch=displayImageViewer&lot_id=159497457&SIZE=smaller

Viele, viele Bilder. Durch Anklicken zu vergrößern von meinem derzeitigen Lieblingsmaler David Roberts
http://commons.wikimedia.org/wiki/David_Roberts?uselang=de

Näher an der Realität, wofern man bei Kunst von Realität reden kann:
http://www.daheshmuseum.org/collection/detail.php?object=pavyp_2

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Schade!
Hier gab es viel zu lernen. Paß auf Dich auf Frank
Frank Benedikt - 11. Okt, 10:50
Irgendwie schade. Habe...
Irgendwie schade. Habe "gerade" erst angefangen, dieses...
tom-ate - 3. Okt, 15:29
Gruß http://opablog.twoday .net/stories/42987938/
Gruß http://opablog.twoday .net/stories/42987938/
kranich05 - 3. Okt, 11:18
SpinnewippGrüße
Hallo Gitano, am Ende dieses Blogs- den einzigen den...
cadiz - 26. Sep, 17:39
wenn ich jetzt so lange...
wenn ich jetzt so lange warten wollte, bis mir zu Deinem...
vunkenvlug - 26. Sep, 14:22

Mir wichtige Links

Suche

 

Status

Online seit 6159 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 11. Okt, 10:50

Credits


Fiktive Briefe
Gefunden
Hekayat und Makamen
In eigener Sache
Literatur
Naseweisheiten
Norwegenbummel
Nuit-nalismus
Reisen
Reisen -Trani
Reisen - Schweden
Reisen - Thailand
Reisen -Apuanische Alpen
Reisen Rondane-Trail
Reisen-Baltikum
Reisen-Cornwall 2010
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren